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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudyard Kipling
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nicht gut tanzen konnte; sie war ja so langweilig und uninteressiert, daß sich in ihrem Vorzimmer nur selten eine Visitenkarte fand.Schreiderling sagte, er hätte sie nie geheiratet, wenn er geahnt hätte, daß sie während der Ehe solche Vogelscheuche werden würde. Es war sein Stolz, stets frei heraus zu sagen, was er dachte.
    Einmal ließ er sie im August in Simla zurück und ging zu seinem Regiment. Da lebte sie ein wenig auf, aber ihr früheres Äußere gewann sie nicht wieder. Im Klub hörte ich, daß der Andere schwer krank sei und in der leisen Hoffnung auf Genesung nach Simla komme. Fieber und Herzschwäche hatten ihn an den Rand des Grabes gebracht. Sie wußte das, und sie wußte auch, – was mir natürlich gleichgültig war, wann er kommen wollte. Vermutlich hatte er es ihr geschrieben. Sie hatten einander seit einem Monat vor der Hochzeit nicht mehr gesehen. Hier beginnt der unangenehmere Teil der Geschichte.
    Ein später Besuch hielt mich eines Abends bis zur Dämmerstunde im Hotel Dowdell fest. Den ganzen Nachmittag war Mrs. Schreiderling die Promenade hin und her geeilt. Auf dem Fahrweg überholte mich eine Tonga. Mein Pony, des langen Stehens müde, fiel in Galopp. Auf der Straße gerade beim Tonga-Halteplatz wartete Mrs. Schreiderling, vom Regen durchnäßt. Da mich das nichts anging, ritt ich bergan, hörte sie aber im gleichen Augenblick aufschreien. Ich wandte sofort um und sah im Lampenlicht des Halteplatzes Mrs. Schreiderling in der Nässe neben dem Rücksitz der eben angelangten Tonga knien. Sie schrie entsetzlich und fiel, als ich näher kam, mit dem Gesicht vornüber in den Straßenschmutz.
    Auf dem Rücksitze saß starr und steif, die eine Hand an der Verdeckstütze, Hut und Bart vor Nässe triefend, der Andere, – tot. Das Stoßen und Rütteln während der sechzig Meilen langen Fahrt bergauf war wohl zu viel für sein Herz gewesen. Der Tongakutscher sagte: »Der Sahib starb zweiHaltestellen nach Solon. Ich habe ihn mit einem Strick festgebunden, damit er mir nicht unterwegs herausfiel. So sind wir hierher gekommen. Gibt mir der Sahib ein Backschisch? Der da,« – er deutete auf den Anderen, – »wollte mir eine Rupie geben.«
    Der Andere saß grinsend da, als mache ihm seine spaßhafte Ankunft Vergnügen und Mrs. Schreiderling stöhnte im Straßenschmutz. Außer uns vieren war niemand am Halteplatz, und es goß in Strömen. Das erste war, Mrs. Schreiderling nach Hause zu bringen, das zweite, zu verhindern, daß ihr Name in diese Angelegenheit hineingezogen würde. Den Tongakutscher schickte ich mit fünf Rupien auf die Suche nach einer Rickshaw für Mrs. Schreiderling. Er sollte dem Tongapost-Schreiber über den Anderen Bericht erstatten, und der Schreiber sollte weiter veranlassen, was ihm gut schien.
    Wir trugen Mrs. Schreiderling aus dem Regen und warteten unter dem Schuppendach dreiviertel Stunde auf die Rickshaw. Der Andere blieb, wo er war. Mrs. Schreiderling tat alles eher als weinen, was ihr doch am meisten geholfen hätte. Sie versuchte zu schreien, als sie wieder zur Besinnung kam, und begann für die Seele des Anderen zu beten.
    Wäre sie nicht so unschuldig gewesen, wie der Tag hell ist, dann hätte sie auch für ihre eigene Seele gebetet. Ich erwartete es, aber sie tat es nicht. Dann versuchte ich, ihr das Reitkleid etwas vom Schmutze zu säubern. Endlich kam die Rickshaw, und ich brachte sie fort, nicht ohne Gewalt. Es war von Anfang bis zu Ende eine schreckliche Geschichte, aber der schrecklichste Augenblick kam, als sich die Rickshaw zwischen Mauer und Tonga hindurchzwängen mußte, und sie im Lampenschein die graue, magere Hand sah, die die Verdeckstange umklammert hielt. –
    Wir brachten sie nach Hause, als alle Welt gerade zu einem Ball auf den vizeköniglichen Landsitz, – Peterhoff war esdamals, – hinausfuhr. Der Arzt erfuhr nur, daß sie vom Pferd gefallen sei, und daß ich sie hinter Jakko aufgenommen habe. Er fand, daß ich wirklich großes Lob verdiene für die rasche Beschaffung ärztlicher Hilfe. Sie starb nicht. Männer vom Schlage Schreiderlings heiraten stets Frauen, die nicht so leicht sterben. Sie leben und werden häßlich.
    Sie sprach keinem Menschen von ihrem Zusammentreffen mit dem Anderen, dem einzigen seit ihrer Verheiratung. Und auch als Erkältung und Husten, die Folgen jenes Abends, ihr erlaubten, wieder auszugehen, gab sie mir weder durch Worte noch durch Zeichen je zu erkennen, daß sie von unserer Begegnung am Tonga-Halteplatze wußte.

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