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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudyard Kipling
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ihres Lebens würde ein einziger, goldener Traum sein. So wenigstens wurde der Plan unter den Laternen des Addison-Road Bahnhofs entworfen; und nach kurzen vier Wochen kam Gravesend, und Dicky dampfte seinem neuen Leben entgegen, während sich das Mädchen in einem Dreißig-Shilling-die-Woche, kombinierten Wohn- und Schlafzimmer, Montpelier-Square (Seitengasse des Knightsbridge-Kasernenviertels) die Augen ausweinte.
    Aber das Land, in das Dicky reiste, war ein hartes Land, wo »Männer« von einundzwanzig Jahren noch als sehr junge Burschen gelten, und das Leben ungewöhnlich teuer ist. Das Gehalt, das aus einer Entfernung von sechstausend Meilen betrachtet, so stattliche Dimensionen zu haben schien, reichte nicht weit. Besonders wenn Dicky es durch zwei dividierte und mehr als die größere Hälfte nach Nummer 1-6 7/8 Montpelier Square sandte. Einhundertundfünfunddreißig Rupien als Rest von dreihundertunddreißig ist nicht viel zum Leben; aber es war natürlich lächerlich, anzunehmen, daß Mrs. Hatt ewig mit den zwanzig Pfund auskommen könnte, die Dicky von seiner Ausrüstung abgespart hatte. Dicky sah das auch ein und sandte natürlich sofort eine Rimesse, wobei er jedoch ständig im Auge behielt, daß zwölf Monate später siebenhundert Rupien daliegen mußten, um die Überfahrt erster Klasse für ein Dame zu bezahlen. Wenn man zu diesen Bagatellen noch die natürlichen Instinkte eines Jungen hinzurechnet, der in einemneuen Lande ein neues Leben anfängt und sich sehnt, unter die Leute zu gehen und sich zu amüsieren, sowie die Notwendigkeit, sich mühsam in ganz fremde Arbeit einzuarbeiten – das allein sollte eines jungen Burschen Kraft beanspruchen – so wird man einsehen, daß Dicky unter ziemlichen Hindernissen seine Laufbahn begann. Ja, er selbst sah das sogar ein – für zwei, drei Sekunden, trotzdem ahnte er noch nicht den vollen Glanz seiner Zukunft.
    Als das heiße Wetter einsetzte, schlangen sich die Ketten fester um ihn und fraßen ihm ins Fleisch. Anfänglich kamen Briefe – ausführliche, sieben Seiten lange, kreuz und quer geschriebene Briefe – von seiner Frau, die ihm erzählten, wie sehr sie sich nach ihm sehnte und was ihnen für ein Himmel auf Erden erblühen würde, wenn sie erst beisammen wären. Dann klopfte wohl irgendein jugendlicher Insasse des Junggesellenheims, in dem Dicky abgestiegen war, an die Tür von Dickys kahlem, kleinem Zimmer, um ihn aufzufordern, doch einmal herauszukommen und sich ein Pferd anzusehen – für ihn absolut das richtige. Aber Dicky konnte sich keine Pferde leisten und mußte das dem anderen auseinandersetzen. Dicky konnte es sich auch nicht leisten, in dem Junggesellenheim zu wohnen, und auch das mußte er auseinandersetzen, ehe er in ein einzelnes kleines Zimmer ganz in der Nähe des Büros zog, in dem er den ganzen Tag über beschäftigt war. Dort wirtschaftete er mit einem Inventar von einem grünen Wachstischtuch, einem Stuhl, einer eisernen Bettstelle, einer Photographie, einem Zahnputzglase – sehr stark und möglichst unzerbrechlich – und einem Kaffeefilter im Werte von sieben Rupien sechs Annas. Mittagessen erhielt er laut Vereinbarung für siebenunddreißig Rupien im Monat, was eine schamlose Übervorteilung bedeutete. Einen Punkah – oder Luftfächer – hatte er nicht, denn ein Punkah kostet monatlich fünfzehn Rupien; aber er schlief auf dem Dacheseines Büros mit sämtlichen Briefen seiner Frau unter dem Kopfkissen. Hin und wieder wurde er zum Essen eingeladen, wo er sowohl einen Punkah wie eisgekühlte Getränke bekam. Allein das geschah nicht allzuoft, denn die Leute wollten keinen jungen Burschen bei sich sehen, der allem Anschein nach die Instinkte eines schottischen Seifenkrämers besaß und auf so unerfreuliche Art lebte. An Vergnügungen konnte sich Dicky auch nicht beteiligen, deshalb hatte er keine, außer der Freude, in seinem Bankbuch zu blättern und zu lesen, was darin über »Anleihen gegen genügende Sicherheit« zu lesen war. Die Rimessen schickte er übrigens durch eine Bank in Bombay, so daß niemand an dem Ort, wo er wohnte, etwas von seinen Privatangelegenheiten erfuhr.
    Allmonatlich sandte er alles, was er nur irgend hatte erübrigen können, nach Hause, für seine Frau und – für noch etwas anderes, von dem man erwartete, daß es demnächst konkrete Form annehmen und einiges Geld kosten würde.
    Etwa um diese Zeit wurde Dicky von einer nervösen, quälenden Furcht befallen, wie sie einen verheirateten Mann

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