Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen
mitunter verfolgt, wenn er sich nicht wohlfühlt. Er hatte keinen Anspruch auf Pension. Wie, wenn er nun plötzlich stürbe und seine Frau unversorgt zurückblieb? Dieser Gedanke pflegte sich seiner an stillen, heißen Nächten zu bemächtigen, wenn er oben auf dem Dache lag, bis er ihn schüttelte und sein Herz ihn glauben machte, daß er auf der Stelle an einem Krampf sterben müßte. Auch das ist eine Gemütsverfassung, wie sie kein Junge in seinem Alter kennen dürfte. Das Ganze ist eine Sorge für einen in sich gefestigten, reifen Mann, und unter diesen Umständen machte es den armen, punkahlosen, schwitzenden Dicky Hatt halb verrückt. Dabei konnte er sich niemandem anvertrauen.
Eine gewisse Anzahl Widerstände ist für jeden Mann so notwendig wie für einen Billardball. Beide verrichtengegebenenfalls Wunder. Dicky brauchte sehr dringend Geld und arbeitete wie ein Pferd dafür. Aber natürlich wußten die Leute, die seine Arbeitskraft gekauft hatten, daß ein junger Bursche mit einem gewissen Einkommen sehr behaglich leben kann – und Gehälter sind in Indien eine Frage des Alters, nicht der Leistungen. Wenn dieser spezielle junge Dachs also für zwei arbeiten wollte, Gott – der große Gott Geschäft – verhüte, daß sie es ihm untersagten! Aber der nämliche große Gott verbot auch, ihm in seinem geradezu lächerlich jugendlichen Alter eine Gehaltserhöhung zu gewähren! Dicky verdiente sich daher zwar einige kleine Zulagen – recht anständige für einen grünen Jungen – aber lange nicht ausreichend für Frau und Kind, und viel, viel zu klein für die siebenhundert Rupien Überfahrt, die er und seine junge Frau seinerzeit so leichten Herzens besprochen hatten. Trotzdem mußte er sich wohl oder übel zufriedengeben.
Sein ganzes Geld – er wußte selbst nicht wie – schmolz dank der Rimessen nach der Heimat und der erdrückenden Wechselkurse dahin – und der Ton der Briefe von Hause änderte sich und wurde unzufrieden. »Weshalb wollte er, Dicky, nicht Frau und Kind zu sich nehmen? Er hätte doch sein Gehalt – ein ausgezeichnetes Gehalt – und es sei doch nicht recht von ihm, sich in Indien zu amüsieren. Und würde – könnte er nicht den Wechsel ein wenig erhöhen?« Hier folgte die Liste einer Baby-Ausstattung, so lang wie eine Wucherrechnung. Und Dicky, der sich halb krank sehnte nach seiner Frau und nach dem kleinen Sohn, den er nie gesehen hatte – was wiederum ein Erlebnis ist, das kein Junge seines Alters durchmachen dürfte, – erhöhte den Wechsel und schrieb sonderbare, halb knabenhafte, halb männliche Briefe des Inhalts, daß das Leben doch nicht ganz so vergnüglich sei, und würde die kleine Frau nicht noch einWeilchen warten? Allein die kleine Frau nahm zwar das Geld bereitwilligst an, murrte aber gegen die Wartezeit, und in ihre Briefe schlich sich ein fremder, harter Ton, den Dicky nicht verstand. Wie sollte er auch, armer Junge!
Später, gerade als man Dicky zu verstehen gegeben hatte, daß eine Ehe nicht nur seine Karriere ruinieren, sondern ihn obendrein seine Stellung kosten würde – man zitierte das Beispiel eines anderen, jungen Burschen, der sich, wie die Redensart lautet, ebenfalls »wie ein Esel benommen hatte« – traf die Nachricht ein, daß Dickys Sohn, sein kleiner, kleiner Sohn, gestorben sei. Dahinter standen vierzig hastig gekritzelte Zeilen einer zornigen Frau, die besagten, daß der Tod hätte vermieden werden können, wenn gewisse kostspielige Dinge ermöglicht worden wären, oder wenn Dicky Mutter und Kind zu sich genommen hätte. Der Brief traf Dicky bis ins Herz; da er aber offiziell zu einem Sohne nicht berechtigt war, durfte er seinen Kummer nicht zeigen.
Wie Dicky sich durch die nächsten vier Monate durchrang und welche Hoffnungen er in seinem Herzen nährte, um sich zur Arbeit zu zwingen, wagt kein Mensch zu sagen. Er kämpfte tapfer weiter, obwohl die Siebenhundert-Rupien-Überfahrt noch immer in weiter Ferne schwamm, und nichts änderte sich an seinem Lebensstil, außer, daß er sich zu einem neuen Kaffeefilter aufschwang. Da war die Last seiner Büro–Arbeit und die Last seiner Rimessen, und das Bewußtsein von seines Jungen Tod, der diesen Jungen vielleicht näher berührte, als es bei einem ausgewachsenen Manne der Fall gewesen wäre; und – härter als alles andere – die Last seiner täglichen Entbehrungen. Grauhaarige Kollegen, die seine Sparsamkeit und seine Gewohnheit, sich alles zu versagen, billigten, gemahnten ihn an den alten,
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