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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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Atmosphäre, wie immer, wenn Madeleine nicht da war. Jeden Freitag traf sie sich mit drei Freundinnen zum Abendessen und zum Reden übers Stricken und Nähen, über Dinge, die sie machten und taten, über die Gesundheit und über Bücher, die sie gerade lasen.
    Auf dem emotionalen Tiefpunkt der Strecke von Brownville nach Walnut Crossing hatte er den Entschluss gefasst, Madeleines Drängen zu folgen und Kyle anzurufen – er wollte endlich ein richtiges Gespräch mit seinem Sohn führen, statt immer nur diese sorgfältig überlegten, antiseptischen E-Mails auszutauschen, die ihnen beiden die Illusion von Kommunikation vermittelten. Wenn die Ereignisse des Lebens in dieser geschönten Form geschildert wurden, hatte das wenig Ähnlichkeit mit den spontanen Mitteilungen einer echten Stimme, die nichts streichen oder neu formulieren konnte.
    Mit besten Absichten trat er ins Arbeitszimmer, doch dann schaute er erst einmal nach Mailbox- und E-Mail-Nachrichten. In beiden Formaten gab es jeweils eine. Beide stammten von Peggy Meeker, der Sozialarbeiterin und Frau des Spinnenfreunds.
    Auf der Mailbox klang sie aufgeregt, schien fast aus dem Häuschen. »Dave, Peggy Meeker hier. Nachdem du neulich Edward Vallory erwähnt hast, hat der Name die ganze Zeit an mir genagt. Ich wusste, dass ich ihn irgendwoher kenne. Und jetzt hab ich ihn gefunden! Ich habe mich wegen einem Englischseminar am College daran erinnert. Elisabethanisches Theater. Vallory war ein Dramatiker, aber keins seiner Stücke ist erhalten, deswegen ist er praktisch unbekannt. Das Einzige, was von ihm existiert, ist der Prolog zu einem Drama. Und stell dir vor, seine Sachen waren anscheinend alle misogyn. Er hat Frauen nur so gehasst! In dem Stück, zu dem der Prolog gehört, ging es angeblich um einen Mann, der seine Mutter umgebracht hat! Den Prolog hab ich dir per E-Mail geschickt. Hat das was mit dem Fall Perry zu tun, von dem du erzählt hast? Ich musste daran denken, als ich Vallorys Prolog gelesen habe, und mir ist es kalt über den Rücken gelaufen. Schau in die E-Mail. Lass mich bitte wissen, ob dir das weiterhilft. Und ob ich sonst noch was für dich tun kann. Das ist wirklich so was von spannend. Wir hören voneinander. Bis demnächst. Ach, und schöne Grüße an Madeleine.«
    Gurney öffnete ihre E-Mail und scrollte schnell zu dem Text von Vallory.
    Kein keusches Weib auf Erden weilt. Im Weib
    Lebt keine Reinheit. Rede, Antlitz, Herz,
    Sie klingen nicht wie eins. Entzweit in sich,
    Ist’s weder dies noch das, nur gänzlich Schein.
    All ihre dunklen Pläne birgt die Frau
    Wohl unter hellen Pudern, feuchtem Öl,
    Malt eine Maske sich, die uns entzückt.
    Doch wo das ehrlich’ Herz, des reiner Ton
    Sein wahres Wesen vor uns offenlegt?
    Oh pfui! Frag nicht das Weib nach laut’rem Sinn,
    Freimüt’gem Klang. Denn lauter ist es nicht.
    Der Schlange Gift bracht’ es aus Eden mit
    Und speit und spuckt nun seinen eklen Schleim
    Aus List und Lügen in des Mannes Herz.
    Gurney las das Gedicht mehrmals, um seinen Sinn zu erfassen.
    Der Prolog zu einem Theaterstück über einen Mann, der seine Mutter tötet. Ein jahrhundertealtes Vorwort aus der Feder eines Dramatikers, der berühmt war für seinen Frauenhass. Der Name dieses Dramatikers stand unter der SMS , die Jillian am Morgen ihres Todes von Hectors Handy bekommen hatte – und die auch Ashton erst vor zwei Tagen erhalten hatte. Eine denkbar schlichte Nachricht: »Aus allen Gründen, die ich schrieb.«
    Und die in seinem einzigen erhaltenen Text genannten Gründe liefen darauf hinaus, dass Frauen unreine, verführerische, betrügerische, satanische Geschöpfe waren, die wie Ungeheuer einen Schleim von List und Lügen auf die Männer spien. Je genauer er Vallorys Worte las, desto stärker schlug ihm das albtraumhaft Verdrehte daran entgegen.
    Gurney war stolz auf seine Umsicht und Ausgeglichenheit; aber hier drängte es ihn unwillkürlich zu dem Schluss, dass der Prolog eine wahnsinnige Rechtfertigung für Jillian Perrys Ermordung darstellte. Und möglicherweise auch für weitere Morde.
    Natürlich war das alles andere als gesichert. Es ließ sich nicht beweisen, dass der Name Edward Vallory, mit dem die SMS unterschrieben worden war, auf den angeblichen Frauenhasser aus dem sechzehnten Jahrhundert anspielte. Und es gab keinen Beweis dafür, dass Hector Flores den Namen als Pseudonym benutzt hatte – wenngleich diese Annahme nahelag, da die Nachrichten von seinem Telefon stammten.
    Alles schien sich auf

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