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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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viele hässliche Meinungsverschiedenheiten.
    Nicht zu vergessen den Faktor Enttäuschung. Als Kyle nach dem Börsencrash seine Absicht bekundete, das Investmentbanking aufzugeben und Jura zu studieren, hatte sich Gurney einen Moment lang der albernen Hoffnung hingegeben, dass sein Sohn vielleicht in seine Fußstapfen treten würde. Doch schon bald war deutlich geworden, dass er nur einen neuen Weg zum alten Ziel des materiellen Erfolgs eingeschlagen hatte.
    »Warum rufst du ihn nicht einfach an?« Madeleine schaute ihn an. Ihre Stricknadeln ruhten auf einem halb vollendeten orangefarbenen Schal in ihrem Schoß.
    Er schrak zwar ein wenig zusammen, war aber nicht so vollkommen verblüfft über ihr unheimliches Einfühlungsvermögen wie sonst.
    »Du machst so ein bestimmtes Gesicht, wenn du an ihn denkst.« Ihre Worte klangen wie eine Selbstverständlichkeit. »Kein glückliches Gesicht.«
    »Ich rufe ihn an. Später.«
    Mit neuer Energie wandte er sich dem Formular zu, wie jemand in einem verschlossenen Raum, der nach einem geheimen Ausgang sucht. Er gewann keine neuen Erkenntnisse. Unbeholfen blätterte er in den anderen Unterlagen.
    Eine von mehreren Analysen zu den DVD -Aufnahmen vom Hochzeitsempfang schloss mit der Bemerkung: »Der Verbleib aller zur Tatzeit auf dem Ashton-Gelände befindlichen Personen wurde anhand des zeitcodierten Bildmaterials verifiziert.« Aufgrund von Hardwicks Äußerungen bei ihrer gemeinsamen Videositzung konnte sich Gurney zwar recht gut vorstellen, was das bedeutete, aber er wollte ganz sicher sein, weil diesem Punkt entscheidende Bedeutung zukam.
    Er angelte sich das Handy von der Anrichte und drückte Hardwicks Nummer. Sofort wurde er auf die Mailbox geleitet. »Hardwick. Hinterlassen Sie eine Nachricht.«
    »Hier Gurney. Ich habe eine Frage zur DVD .«
    Keine Minute später läutete sein Telefon.
    Er machte sich nicht die Mühe, aufs Display zu schauen. »Jack?«
    »Dave?« Es war eine bekannte Frauenstimme, die er aber nicht sofort zuordnen konnte.
    »Tut mir leid, ich hatte jemand anders erwartet. Ja, hier spricht Dave.«
    »Ich bin’s, Peggy Meeker. Ich hab deine E-Mail gekriegt und gerade darauf geantwortet. Aber jetzt hab ich doch lieber angerufen, falls diese Informationen für dich wichtig sind.« Ihre Stimme zitterte vor Aufregung.
    »Worum geht es?«
    »Du wolltest doch Genaueres über Edward Vallorys Stück erfahren, Handlung, Figuren und so weiter. Also, ich habe mit dem Fachbereich Englisch der Wesleyan University telefoniert. Und du wirst es nicht glauben – Professor Barkless, der damals das Seminar gehalten hat, ist noch dort.«
    »Welches Seminar?«
    »Das ich damals besucht habe. Über das Elisabethanische Theater. Ich habe eine Nachricht hinterlassen, und er hat sich gemeldet. Ist das nicht erstaunlich?«
    »Was hat er dir erzählt?«
    »Das ist das wirklich Erstaunliche. Hast du gerade Zeit?«
    Gurney ignorierte einen Anklopfton auf seinem Handy. »Schieß los.«
    »Also, zunächst mal hieß das Stück Der spanische Gärtner .« Sie wartete auf eine Reaktion.
    »Weiter.«
    »Der Name der Hauptfigur war Hector Flores.«
    » Was ?«
    »Es kommt noch viel besser. Die Handlung wurde von einem zeitgenössischen Kritiker teilweise beschrieben als eine dieser komplizierten Geschichten, wo sich die Leute verkleiden und von ihren eigenen Verwandten nicht erkannt werden und dieser ganze Unsinn, aber die Grundhandlung …« Wieder piepte es im Telefon. »… ist, dass Hector Flores von zu Hause weggejagt wird, und zwar von seiner Mutter, die seinen Vater getötet und seinen Bruder verführt hat. Jahre später kehrt Hector verkleidet als Gärtner zurück und bringt seinen Bruder durch List – weitere Masken und Verwechslungen – dazu, seiner Mutter den Kopf abzuschneiden. Alles ziemlich übertrieben, und vielleicht wurden deshalb alle Ausgaben des Stücks nach der Erstaufführung vernichtet. Es ist unklar, ob die Handlung auf einer alten Variante des Ödipusmythos basiert hat oder ob sich Vallory einfach eine Groteske aus den Fingern gesaugt hat. Oder das Ganze war irgendwie beeinflusst von Thomas Kyds Spanischer Tragödie , die ebenfalls emotional vollkommen überzogen ist, wer weiß? Das sind jedenfalls die wesentlichen Fakten – direkt von Professor Barkless.«
    Gurneys Gehirn war Peggy Meekers atemloser Stimme bereits weit vorausgeeilt.
    Nach kurzem Schweigen fragte sie: »Soll ich es noch mal wiederholen?«
    Erneut piepte es.
    »Du sagst, das steht alles in einer

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