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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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er auf der wuchtigen schwarzen Schreibtischplatte die Hände zusammen und schob langsam die Finger ineinander – bis auf die Daumen, die er parallel hielt, als wollte er sie eingehend vergleichen. Der Vergleich schien ihn zu faszinieren. Nachdem er eine Weile über seine privaten Gedanken gelächelt hatte, löste er die Hände voneinander und breitete sie mit einer merkwürdig unbekümmerten Geste aus.
    Dann griff er in die Jackentasche und zog eine kleinkalibrige Pistole heraus. Das geschah so vollkommen beiläufig, dass sich Gurney kurz der Illusion hingab, er hätte eine Packung Zigaretten zum Vorschein gebracht.
    Mit einer fast schläfrigen Bewegung richtete er die halbautomatische Waffe, eine Beretta Kaliber .25, auf einen Punkt zwischen Gurney und Hardwick, doch sein Blick fixierte Hardwick.
    »Tun Sie mir bitte einen Gefallen. Legen Sie die Hände auf die Stuhllehnen. Sofort, bitte. Danke. Und jetzt heben Sie die Füße langsam vom Boden, aber schön sitzen bleiben dabei. Danke. Ich weiß Ihre Kooperation zu schätzen. Höher bitte. Danke. Und jetzt strecken Sie die Beine bitte nach vorn zum Schreibtisch. Noch ein Stück, bis Sie die Füße auf die Platte legen können. Danke. Wirklich sehr entgegenkommend von Ihnen.«
    Hardwick folgte den Anweisungen mit dem entspannten Ernst eines Yogaschülers, der seinem Lehrer zuhört. Sobald seine Füße auf dem Schreibtisch ruhten, beugte sich Ashton vor und zog eine Kel-Tec P-32 aus dem Halfter unter Hardwicks rechtem Hosenbein. Er wog sie kurz in der Hand, dann ließ er sie in die obere Schublade gleiten.
    Lächelnd nahm er wieder Platz. »Ah ja. Schon viel besser. Bei zu vielen bewaffneten Menschen in einem Zimmer kommt es leicht zu einer Tragödie. Bitte, Detective, Sie dürfen gern die Füße wieder runternehmen. Ich denke, nachdem die Machtverhältnisse jetzt geklärt sind, können wir uns alle ein wenig entspannen.«
    Träge und amüsiert blickte Ashton von einem zum anderen. »Ich muss zugeben, der Tag wird immer faszinierender. So viele … Entwicklungen. Und Sie, Detective Gurney, Ihr Verstand ist ja wirklich auf Hochtouren gelaufen.« Ashtons schnurrende Stimme triefte vor Sarkasmus. »Was für ein reißerisches Komplott Sie sich da ausgedacht haben. Klingt ja fast wie ein Kinodrehbuch. Der angesehene Psychiater Scott Ashton ermordet seine Frau im Beisein von hundert Hochzeitsgästen. Und dazu muss er nur eins zu ihr sagen: ›Schließ die Augen.‹ Einen Hector Flores hat es nie gegeben. Die blutige Machete ist ein raffinierter Trick. In Wirklichkeit hat er ein Beil in der Tasche. Ein pseudozufälliger Sturz in die Rosen. Im Bad dann der clevere Anzugtausch. Und so weiter. Eine geniale Verschwörung enthüllt. Ein sensationeller Mordfall gelöst. Händler des Grauens entlarvt. Den Toten widerfährt Gerechtigkeit. Und die anderen leben vergnügt bis ans Ende ihrer Tage. Hab ich was vergessen?«
    Wenn er eine schockierte oder verängstigte Reaktion erwartet hatte, wurde er enttäuscht. Eine von Gurneys Stärken war, dass er überraschenden Wendungen voller Sanftmut begegnete und obendrein in einem Ton, der eher für eine weniger kritische Situation gepasst hätte. So war es auch jetzt.
    »Eine treffende Zusammenfassung.« Er ließ sich nichts von seiner Überraschung darüber anmerken, dass Ashton seine Unterhaltung mit Hardwick mitgehört hatte – wahrscheinlich war sie mit einem verborgenen Mikrofon zu seinem Headset übertragen worden. Ja, es war eindeutig so. Gurney versetzte sich innerlich eine Ohrfeige, weil ihm nicht aufgefallen war, dass Ashton in der Kapelle in ein eigenes Handy gesprochen hatte, was den Schluss nahelegte, dass das Headset anderen Zwecken diente. Es war schmerzlich, dass ihm etwas so Offensichtliches entgangen war, doch das verbarg er nach außen hin.
    Gurney hatte es schon immer schwer gefunden, die Wirkung seiner ungerührten Reaktion einzuschätzen. Jetzt konnte er nur hoffen, dass er sein Gegenüber damit ein wenig aus der Fassung gebracht hatte. Jeder noch so geringe Zweifel, der in Ashton entstand, war ein Plus.
    Ashton wandte seine Aufmerksamkeit Hardwick zu, dessen Blick auf der Pistole ruhte. Der Psychiater schüttelte den Kopf, als würde er ein ungezogenes Kind ermahnen. »Wie heißt es im Kino immer so schön, Detective: Lassen Sie es lieber. Bevor Sie aus dem Stuhl hochkommen, haben Sie schon drei Kugeln in der Brust.«
    Im gleichen Ton redete er auch Gurney an. »Und Sie, Detective, Sie sind wie eine Fliege, die sich

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