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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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und machte mit dem Bleistift einen Punkt neben alle Namen mit einer Adresse in der Badger Lane. Dann suchte er vom gleichen Stoß die Mappe mit den Vernehmungsprotokollen heraus und marschierte hinaus zum Auto.
    Das Dorf Tambury verdankte seine verschlafene, abgeschiedene Aura zum Teil der Tatsache, dass es an der Kreuzung zweier Straßen aus dem neunzehnten Jahrhundert entstanden und danach von neueren Strecken übergangen worden war. Vor dem unter solchen Umständen unvermeidlichen wirtschaftlichen Niedergang wurde Tambury bewahrt, weil es in einem hohen, offenen Tal am Nordrand der Berge mit Postkartenaussicht in alle Richtungen lag. Die Kombination von friedlicher Zurückgezogenheit und malerischer Schönheit machte Tambury zu einem attraktiven Ort für wohlhabende Rentner und Ferienhausbesitzer.
    Doch nicht alle Einwohner entsprachen dieser Beschreibung. Calvin Harlens unkrautüberwucherter, heruntergekommener ehemaliger Milchbauernhof lag an der Ecke Higgles Road und Badger Lane. Kurz nach Mittag wurde Gurney nach seiner eineinviertelstündigen Fahrt von der klaren Bibliothekarinnenstimme des GPS an diese Stelle dirigiert. Er stoppte auf dem nördlichen Seitenstreifen der Higgles Road und beäugte das verwahrloste Grundstück, dessen auffälligstes Merkmal der drei Meter hohe, von riesigen Büschen Unkraut überwucherte Misthaufen neben einer gefährlich windschiefen Scheune war. Hinter dieser standen wahllos verstreut und versunken in einem Feld mit hüfthohem Gestrüpp mehrere rostige Wagen, zu denen auch das Gerippe eines gelben Schulbusses ohne Räder gehörte.
    Gurney öffnete die Mappe mit den Vernehmungsprotokollen und las:
Calvin Harlen. Alter neununddreißig. Geschieden. Selbstständig, Gelegenheitsarbeiten (Hausreparaturen, Rasenmähen, Schneepflügen, Zerlegen von Wild, Tierpräparation). Allgemeine Instandhaltungsarbeiten für Scott Ashton bis zur Ankunft von Hector Flores, der seine Tätigkeiten übernahm. Behauptet, dass Ashton einen »ungeschriebenen Vertrag« mit ihm gebrochen hat. Behauptet (ohne Belege), dass Flores illegaler Einwanderer, homosexuell, HIV -positiv, cracksüchtig ist. Bezeichnet Flores als »dreckigen Spaniolen«, Ashton als »verlogenen Drecksack«, Jillian Perry als »freche kleine Schlampe« und Kiki Muller als »Spaniolenfickerin«. Weiß nichts über Mord, Ereignisse im Zusammenhang damit, Verbleib des Verdächtigen. Behauptet, zum Zeitpunkt des Mordes allein in seiner Scheune gearbeitet zu haben.
Geringe Glaubwürdigkeit. Labil. In einem Zeitraum von zwanzig Jahren zahlreiche Verhaftungen wegen ungedeckter Schecks, häuslicher Gewalt, Trunkenheit und Ruhestörung, Belästigung, Bedrohung, Tätlichkeiten. (Siehe angehängtes Vorstrafenregister.)
    Gurney schloss die Mappe und legte sie auf den Beifahrersitz. Anscheinend hatte Calvin Harlen in seinem Erwachsenenleben keine Gelegenheit ausgelassen, um unangenehm aufzufallen.
    Er stieg aus und überquerte die unbefahrene Straße zu einer zerfurchten Erdfläche, die als eine Art Einfahrt zum Grundstück diente. Sie verzweigte sich in zwei ungefähre Richtungen: rechts zum Misthaufen und zur Scheune, links zu einem baufälligen einstöckigen Bauernhaus, dessen letzter Anstrich so viele Jahrzehnte zurücklag, dass die Flecken auf dem verrottenden Holz keine erkennbare Farbe mehr aufwiesen. Das Vordach über der Veranda wurde von mehreren Pfosten gestützt, die jüngeren Datums als das Haus, aber keineswegs neu waren. An einem der Pfosten hing ein Sperrholzschild mit der Aufschrift ZERLEGEN VON WILD in rot triefenden, handgeschriebenen Buchstaben.
    Aus dem Haus drang wildes Gebell von mindestens zwei ziemlich groß klingenden Hunden. Gurney wartete, ob der Tumult jemanden an die Tür locken würde.
    Schließlich tauchte jemand aus der Scheune auf, oder zumindest von der anderen Seite des Misthaufens: ein dürrer, wettergegerbter Mann mit rasiertem Schädel, der ein spitzes Werkzeug in der Hand hielt – einen Schraubenzieher oder Eispickel vielleicht.
    »Haben Sie was verloren?« Er grinste über seine eigene Frage.
    »Sie wollen wissen, ob ich was verloren habe?«
    »Was Sie hier verloren haben, ja.« Der Typ schien das Spiel zu genießen.
    Gurney wollte ihn aus der Fassung bringen. »Ich kenne ein paar Hundebesitzer. Mit dem richtigen Hund kann man viel Geld verdienen. Mit dem falschen sieht man alt aus.«
    »Schnauze, verdammt!«
    Erst als nach ein, zwei Sekunden das Bellen im Haus verstummte, wurde Gurney klar, wen der Mann

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