Schließe deine Augen
ihn, ob er für ihn Laub harken darf? Der Scheißer hatte doch von Anfang an was vor.«
»Interessant, Calvin. Sie sind ganz schön clever. Gefällt mir.«
Harlen nickte und spuckte erneut auf den Boden, wie um sein Einverständnis mit dem Lob zu signalisieren. »Und noch was.« Verschwörerisch senkte er die Stimme. »Dieser durchtriebene Spaniole hat nie sein Gesicht gezeigt. Hatte immer so einen Rodeohut auf, Krempe tief runtergezogen, Sonnenbrille. Wissen Sie, was ich glaube? Der hatte Angst, sich sehen zu lassen. Hat sich immer in dem großen Haus versteckt oder hinten in dem blöden Puppenhaus. Genau wie diese Schlampe.«
»Welche Schlampe?«
»Die Schlampe, die umgenietet worden ist. Wenn sie auf der Straße mit dem Auto an einem vorbeigekommen ist, hat sie weggeschaut, wie wenn man ein Stück Dreck wäre. Oder ein totgefahrenes Viech, blöde Scheißschlampe. Also denke ich mir, vielleicht hatten die was laufen, sie und dieser schmierige Scheißer? Konnten einem doch beide nicht in die Augen schauen vor schlechtem Gewissen. Und dann hab ich mir überlegt, hey, warte mal, vielleicht ist das noch nicht alles. Vielleicht hat der Spaniole Angst, dass ihn jemand identifiziert. Schon mal dran gedacht?«
Als Gurney Harlen schließlich für das Gespräch dankte und ihm versprach, sich wieder zu melden, war er nicht sicher, wie viel und ob er überhaupt etwas Brauchbares in Erfahrung gebracht hatte. Wenn Ashton statt Harlen auf einmal Flores für Arbeiten auf dem Grundstück eingesetzt hatte, hegte Harlen natürlich einen großen Groll, und alles Gift, das Harlen abgesondert hatte, war direkt aus dem Schlag gegen seine Brieftasche und seinen Stolz entstanden. Möglicherweise steckte aber auch mehr dahinter. Vielleicht traf Hardwicks Einschätzung zu, dass es hier verborgene Schichten gab und an der ganzen Sache etwas faul war.
Gurney ging zurück zu seinem Auto und schrieb drei Notizen in einen kleinen Spiralblock.
Hat sich Flores verstellt? Kein Mexikaner?
Hatte Flores Angst, von Harlen wiedererkannt zu werden? Oder später von ihm identifiziert zu werden? Warum, da Ashton ihn doch jederzeit identifizieren kann?
Hinweise auf eine Affäre zwischen Flores und Jillian? Eine frühere Verbindung? Ein Mordmotiv aus der Zeit vor Tambury?
Skeptisch beäugte er seinen kurzen Fragenkatalog. Er konnte sich nicht vorstellen, dass eine von ihnen zu einer nützlichen Entdeckung führen würde. Der zornige, paranoide Calvin Harlen war bestimmt kein zuverlässiger Zeuge.
Er schaute auf die Uhr am Armaturenbrett. 13.00 Uhr. Wenn er das Mittagessen ausfallen ließ, hatte er vor seiner Verabredung mit Ashton noch Zeit für eine weitere Befragung.
Das Grundstück der Mullers war das vorletzte an der Badger Lane, danach kam nur noch Ashtons geschlecktes Paradies. Der Unterschied zu Harlens Müllkippe an der Ecke Higgles Road hätte nicht größer sein können.
Gleich hinter einem Briefkasten mit der Nummer, die auf Carl Mullers Vernehmungsprotokoll vermerkt war, parkte Gurney. Das Haus war ein großer weißer Kolonialbau mit klassischen schwarzen Läden, der weit zurückgesetzt von der Straße stand. Im Gegensatz zu dem gewissenhaft gepflegten Anwesen davor strahlte er etwas leicht Vernachlässigtes aus – ein etwas schief hängender Laden, ein abgebrochener Ast auf dem Rasen, struppiges Gras, verfilztes Laub auf der Einfahrt, ein umgestürzter Gartenstuhl auf einem Ziegelpfad neben der Seitentür.
Vor der getäfelten Tür angekommen, hörte Gurney von drinnen leise Musik. Es gab keine Klingel, nur einen alten Messingklopfer, den Gurney mehrmals, mit zunehmender Kraft benutzte, ehe schließlich geöffnet wurde.
Der Mann, der ihm entgegentrat, sah nicht gut aus. Sein Alter konnte irgendwo zwischen fünfundvierzig und sechzig liegen, je nachdem, wie viel davon auf seine Krankheit zurückzuführen war. Das matte Haar passte zum Graubeige seiner schlaff herabhängenden Strickjacke.
»Hallo.« In seinem Gruß lag keine Spur von Neugier.
Gurney wunderte sich, dass der Hausherr einen Fremden an seiner Tür auf diese Weise anredete. »Mr Muller?«
Der Mann blinzelte und wirkte dabei, als würde er einer Bandaufzeichnung der Frage lauschen. »Ich bin Carl Muller.« Seine Stimme hatte die gleiche fahle, tonlose Qualität wie seine Haut.
»Mein Name ist Dave Gurney, Sir. Ich wirke an der Suche nach Hector Flores mit. Hätten Sie vielleicht ein, zwei Minuten Zeit für mich?«
Diesmal brauchte die Bandaufzeichnung länger.
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