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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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Verfügung stehen.«
    Gurney sann über die ungewöhnliche Struktur der Mapleshade Academy und die Konsequenzen daraus nach.
    Vielleicht weil er ein gewisses Unbehagen bei ihm spürte, fügte Ashton hinzu: »Bedenken Sie nur – das Gefühl der Sicherheit, das unser System bietet, ermöglicht es unseren Schülern und ihren Familien, uns Dinge zu erzählen, die sie nie preisgeben würden, wenn die Informationen in eine Akte gelangen könnten. Wir haben es hier mit Störungen zu tun, die tiefste Gefühle von Schuld, Scham und Angst verursachen.«
    »Warum haben Sie den Ermittlern nichts von Jillians furchtbarer Vergangenheit erzählt?«
    »Es gab keinen Grund dafür.«
    »Keinen Grund?«
    »Meine Frau wurde von meinem psychotischen Gärtner ermordet, der danach geflohen ist. Aufgabe der Polizei ist es, ihn zu fassen. Was hätte ich also sagen sollen? Ach übrigens, meine Frau wurde im Alter von drei Jahren von den cracksüchtigen Freunden ihrer Mutter vergewaltigt? Was soll das zur Festnahme von Hector Flores beitragen?«
    »Wie alt war sie, als sie vom Opfer zum Täter wurde?«
    »Fünf.«
    » Fünf ?«
    »Laien sind immer schockiert, wenn sie dergleichen hören. Dieses Verhalten passt einfach so wenig zu unserem Bild von der unschuldigen Kindheit. Doch leider sind fünfjährige Missbraucher jüngerer Kinder nicht so selten, wie man glaubt.«
    »Meine Güte.« Mit wachsender Unruhe fixierte Gurney das Bild an der Wand. »Wer waren die Opfer?«
    »Das ist mir nicht bekannt.«
    »Weiß Val Perry davon?«
    »Ja. Und sie tut sich noch immer schwer damit, darüber zu reden – falls Sie sich wundern, warum Sie Ihnen nichts erzählt hat. Aber das ist der eigentliche Grund, warum sie sich an Sie gewandt hat.«
    »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
    Ashton atmete tief durch. »Val wird von Schuldgefühlen getrieben. Stark verkürzt ausgedrückt war sie in ihren Zwanzigern Teil einer Drogenszene und keine besonders gute Mutter. Sie hat sich mit Süchtigen abgegeben, die noch verrückter waren als sie. Das hat zu dem erwähnten Missbrauch und in der Folge zu Jillians sexueller Aggressivität und anderen Verhaltensstörungen geführt, mit denen Val wiederum nicht umgehen konnte. Sie wurde von Schuldgefühlen zerrissen – ein farbiges Klischee, doch zutreffend. Sie fühlt sich verantwortlich für jedes Problem im Leben ihrer Tochter und jetzt für ihren Tod. Sie ist frustriert von der polizeilichen Untersuchung – keine Anhaltspunkte, kein Fortschritt, kein Abschluss. Ich vermute, mit Ihrem Engagement will sie noch einen letzten Versuch unternehmen, etwas für Jillian zu tun. Natürlich ist es zu wenig und zu spät, aber etwas anderes ist ihr nicht eingefallen. Ein BCI -Beamter hat ihr von Ihnen erzählt, von Ihrem Ruf als Mordermittler. Dann hat sie einen Artikel über Sie in der Zeitschrift New York gelesen und war der Meinung, dass das ihre letzte Chance auf Wiedergutmachung ist. Bedauernswert, aber so ist es.«
    »Woher wissen Sie das alles?«
    »Nach Jillians Ermordung war Val einem Zusammenbruch nahe und ist es immer noch. Das Reden über all diese Dinge hat ihr geholfen, die Fassung zu bewahren.«
    »Und Sie?«
    »Ich?«
    »Wie haben Sie die Fassung bewahrt?«
    »Ist das Neugier oder Sarkasmus?«
    »Wie Sie von dem schrecklichsten Erlebnis in Ihrem Leben und den beteiligten Menschen sprechen, das wirkt bemerkenswert distanziert. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
    »Nein? Das kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Nach meinem Eindruck würden Sie ganz genauso auf den Tod von jemandem reagieren, der Ihnen nahesteht, Detective.« Er musterte Gurney mit der Neutralität des klassischen Therapeuten. »Ich erwähne diese Parallele, damit Sie sich besser in meine Lage versetzen können. Natürlich fragen Sie sich: Verbirgt er die Emotionen über den Tod seiner Frau, oder gibt es keine Emotionen zu verbergen? Bevor ich antworte, denken Sie bitte daran, was Sie in dem Video gesehen haben.«
    »Sie meinen Ihre Reaktion auf den Anblick im Cottage?«
    Ashtons Stimme wurde härter und schien vor kaum gebremstem Zorn zu beben. »Meiner Ansicht nach war es ein Teil von Hectors Motiv, mir Schmerzen zuzufügen. Das ist ihm gelungen. Mein Schmerz ist auf diesem Video aufgezeichnet. Das ist eine Tatsache, an der ich nichts ändern kann. Doch ich habe beschlossen, diesen Schmerz nicht mehr zu zeigen. Niemandem. Nie wieder.«
    Gurneys Blick hing an den feinen Intarsien des Schachbretts.

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