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Schlimmes Ende

Titel: Schlimmes Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Ardagh
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die Kuchen und Soufflees und Obstsalate und Torten und sonst noch
alle schlürfsiösen Sachen zeigten, die man sich nur vorstellen kann.
    Vom schieren Hingucken wurde Eddie hungrig und er hatte erst ein paar Stunden im Waisenhaus verbracht. Er fragte sich, wie es wohl den anderen armen Kindern ging - den echten Waisenkindern -, wenn sie ebenfalls Exemplare dieses Buches in ihren Zimmern ausliegen hatten. Es war wie Folter, all diese guten Sachen zu betrachten (manche noch dazu mit Schokolade bestreuselt oder mit Kirsche obendrauf), wenn man noch dazu wusste, dass alles, was man zu essen kriegen würde, Haferschleim aus altem Tapetenkleister oder Suppe aus gekochten alten Sohlenresten war. (Eddie war auf dem Weg zu seinem Zimmer bereits im Küchentrakt aus dem Sack gestülpt worden und wusste, was er zu gewärtigen hatte.)
    Auf einigen der Bilder waren Bissspuren und teilweise schienen ganze Bilder weggefressen worden zu sein. Eddie stellte sich vor, dass der vorige Insasse so hungrig gewesen sein musste, dass er Puddingbilder statt Pudding gefuttert hatte. Der vorige Insasse war natürlich der echt entflohene Waisenknabe, für welchen man Eddie fälschlich gehalten hatte.
    Weil der Sack, in dem Eddie ans Waisenhaus geliefert worden war, so dreckig war - vor Eddie müssen Briketts drin gewesen sein -, fand Eddie selbst es schwer, sein Abbild zu erkennen, sobald man ihn aus dem Sack gestülpt hatte. Niemand vom Personal schien zu merken, dass er der falsche Junge war, und auf seine wahnsinnige Großtante und auf seinen wahnsinnigen Großonkel war auch kein Verlass, wenn es darum ging, ihn hier herauszuhauen. Was sollte er tun?
    Eddie begann, sich gerade damit abzufinden, dass es keine Hoffnung gab, als er das Schmirgeln eines Schlüssels in der
Tür hörte und die Tür aufsprang. Die größte, dickste Frau, die Eddie je gesehen hatte, füllte den Türrahmen.
    Er sah zu ihr auf.
    »Nawiegehtsuns?«, fragte sie, und Zorn strahlte in ihren grausamen roten Augen.
    »Eher schlecht«, sagte Eddie. »Wissen Sie, da ist Ihnen ein schrecklicher Fehler unterlaufen…«
    Die Frau haute ihm einen riesenhaften Holzlöffel auf den Kopf.
    »NAWIEGEHTSUNS?«, wiederholte sie, diesmal in Versalien (oder Großbuchstaben).
    »Autsch! Ich heiße Eddie Dickens. Es wurde ein schrecklicher Fehler begangen«, platzte es aus Eddie hervor, und er rieb sich die Beule, die unter seinem Schopf bereits zu schwellen begann.
    »Du weißt sehr wohl, dass du ›Guten Morgen, Guten Tag oder Guten Abend, Frau Direktor Grausam-Unsäglich‹ zu sagen hast, sobald du das Vergnügen meiner Anwesenheit genießt«, sagte die Frau. Sie versuchte zu sprechen, als wäre sie die Königin von England, aber sie hörte sich eher so an, wie Eddie sich die Ratte vorstellte, wenn Ratten sprechen könnten.
    »Guten Morgen, Guten Tag oder Guten Abend, Frau Direktor Grausam-Unsäglich«, sagte Eddie. »Ich heiße Eddie Di…«
    Eddie konnte nicht weitersprechen, weil sich eine riesengroße Hand um seinen Hals zur Faust ballte und er so hoch in die Luft gehoben wurde, dass die Beule auf seinem Kopf die schmutzige Zimmerdecke streifte.
    »Wo sind deine Manieren, Junge?«, knurrte Frau Direktor Grausam-Unsäglich und hörte auf, so zu tun, als wäre sie die Königin von irgendwas außer diesem grässlichen Waisenhaus.
»Dachtest wohl, du könntest hier so einfach ausbrechen, stimmt’s? Dachtest wohl, damit kämst du durch, wie?«

    Eddie hätte ihr liebend gern erklärt, dass er nie und nimmer von irgendworaus zu brechen im Sinn gehabt habe, aber alles, was er sagen konnte, war »ffrbwllfggghh«, was ihn nun wieder an seine liebe Mutter erinnerte, die sich ständig Zwiebeln in den Mund stopfte oder Eiswürfel in Gestalt berühmter Generäle lutschte. Tränen flossen ihm die Wangen herunter.
    Offensichtlich davon entzückt, dass sie den Jungen zum Weinen gebracht hatte, und zufrieden mit ihrer Arbeit, lockerte Frau Grausam-Unsäglich den Griff um Eddies Hals, und Eddie fiel mit lautem Bauz zu Boden.
    Dann bückte sie sich, um die Ratte nett zwischen den Ohren zu kratzen, so wie du oder ich innehalten würden, um eine Katze zu streicheln. Das war ihrerseits ein falscher Schachzug, denn Eddie war nicht wie die anderen Jungen und Mädchen im Sankt-Fürchterlich-Heim für dankbare Waisen. Er war nicht von Jahren unzureichender Nahrung, schwerer Arbeit und Hoffnungslosigkeit geschwächt. Keiner, der je eine
Kutschfahrt mit der Wahnsinnigen Tante Maud und einem ausgestopften Wiesel

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