Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
Vom Netzwerk:
Kreditkarten verschulden?
    Er
schlief nicht gut. Er wachte immer wieder auf, und als er um sechs merkte, dass
er nicht mehr einschlafen würde, gab er auf, zog sich an und ging aus dem Haus.
Der Himmel war voller dunkler Wolken, aber im Osten schimmerte es rot. Wenn
Richard den Aufgang der Sonne über dem Meer nicht verpassen wollte, musste er
sich beeilen und in den Straßenschuhen losrennen, die er statt der Laufschuhe
angezogen hatte. Die Sohlen klatschten laut auf die Straße, scheuchten einmal
einen Schwärm Krähen auf und einmal ein paar Hasen. Das Rot im Osten leuchtete
breiter und stärker; Richard hatte schon ein ähnliches Abend-, aber noch nie
ein solches Morgenrot gesehen. Vor Susans Haus gab er sich Mühe, leise zu sein.
    Dann
erreichte er den Strand. Die Sonne stieg golden empor, aus einem glühenden
Meer in einen flammenden Himmel - einige Augenblicke lang, bis die Wolken
alles auslöschten. Richard war, als sei es plötzlich nicht nur dunkler,
sondern auch kälter.
    Er
hätte sich keine Mühe geben müssen, vor Susans Haus leise zu sein. Sie war auch
schon auf. Sie saß am Fuß einer Düne, sah ihn, stand auf und kam. Sie ging
langsam; bei den Dünen war der Sand tief und fiel das Gehen schwer. Richard
ging ihr entgegen, aber nur, weil er höflich sein wollte. Er sah ihr lieber zu,
wie sie ging, mit ruhigem Schritt, mit sicherer Haltung, den Kopf manchmal
gesenkt und manchmal gehoben und bei gehobenem Kopf den Blick fest auf ihn
gerichtet. Ihm war, als würden sie im Aufeinanderzugehen etwas miteinander
verhandeln, aber er wusste nicht, was. Er verstand nicht, was ihr Gesicht
fragte und was für Antworten sie in seinem fand. Er lächelte, aber sie
erwiderte das Lächeln nicht, sondern sah ihn ernst an.
    Als
sie einander gegenüberstanden, nahm sie seine Hand. »Komm!« Sie führte ihn zum
Haus und über die Treppe ins Schlafzimmer. Sie zog sich aus, legte sich ins
Bett und sah zu, wie er sich auszog und ins Bett legte. »Ich habe so lange auf
dich gewartet.«
     
    7
     
    So
liebte sie ihn. Als hätte sie ihn lange gesucht und endlich gefunden. Als
könnten sie und er nichts falsch machen.
    Sie
nahm ihn mit, und er ließ es geschehen. Er fragte sich nicht: Wie bin ich?, und
fragte sie nicht: Wie war ich? Als sie danach beieinanderlagen, wusste er, dass
er sie liebte. Diese kleine Person mit den zu kleinen Augen, dem zu kräftigen
Kinn, der zu dünnen Haut und der Gestalt, die knabenhafter war als die
Frauengestalten, die er bisher geliebt hatte. Die eine Sicherheit hatte, die
sie, herumgeschubst von mäßig liebevollen Eltern zu einer lieblosen Tante,
nicht hätte haben dürfen. Die mehr Geld zu haben schien, als ihr guttun konnte.
Die in ihm sah, was er selbst nicht sah, und die es ihm damit gab.
    Er
hatte zum ersten Mal eine Frau geliebt, als gebe es keine Bilder davon, wie
Liebe zu geschehen hat. Als seien sie ein Paar aus dem 19. Jahrhundert, dem
Kino und Fernsehen noch nicht mit ihren Bildern vorschreiben konnten, wie
richtig geküsst, richtig gestöhnt, dem Gesicht der richtige Ausdruck der
Leidenschaft und dem Körper die richtige Zuckung der Lust gegeben wird. Ein
Paar, das die Liebe und das Küssen und Stöhnen für sich erfand. Susan schien
nie die Augen zu schließen. Wann immer er sie ansah, sah auch sie ihn an. Er
liebte ihren Blick, selbstvergessen, vertrauensvoll.
    Sie
stützte sich auf und lachte ihn an. »Wie gut, dass ich dich, als du im
Restaurant nicht wusstest, was du tun solltest, angelächelt habe. Ich dachte
zuerst, es sei nicht nötig. Ich dachte, du kämst auf dem direktesten und
schnellsten Weg zu mir.«
    Er
lachte fröhlich zurück. Ihnen kam nicht in den Sinn, was bei der Begegnung im
Restaurant geknirscht und geholpert hatte, als Warnung zu nehmen. Sie nahmen
es als Ungeschick, das von einem Lachen überwunden werden konnte.
    Sie
blieben bis zum Abend im Bett. Dann holten sie Susans Auto aus der Garage,
einen gepflegten älteren bmw, und fuhren durch Nacht
und Regen zu einem Supermarkt. Das Licht war grell, es roch chemisch sauber,
die Musik klang synthetisch, und die wenigen Käufer schoben ihre Einkaufswagen
müde durch die leeren Gänge. »Wir hätten im Bett bleiben sollen«, flüsterte sie
ihm zu, und er war froh, dass sie von Licht und Geruch und Musik ebenso
verstört war wie er. Sie seufzte, lachte, machte sich ans Einkaufen und hatte
den Wagen bald voll. Manchmal tat auch er etwas hinein, Äpfel, Pfannkuchen,
Wein. An der Kasse zahlte er mit seiner Kreditkarte

Weitere Kostenlose Bücher