Schlink,Bernhard
Richard duschte, ging Susan in den Keller und stellte die Heizung an;
während Susan duschte, machte Richard ein Feuer im Kamin. Er trug den
Morgenmantel, den Susan von ihrem Vater behalten hatte, rot, warm, schwere
Wolle mit seidenem Futter. Sie hängten ihre nassen Kleider zum Trocknen auf und
fanden heraus, wie der Samowar funktionierte, der auf dem Sims über dem Kamin
stand. Dann saßen sie auf dem Sofa, sie im Schneidersitz in der einen, er auf
den Knien in der anderen Ecke, tranken Tee und sahen einander an.
»Ich
kann meine Sachen sicher bald wieder anziehen.«
»Bleib
doch. Was willst du bei dem Regen machen? Alleine in deinem Zimmer sitzen?«
»Ich...«
Er wollte einwenden, dass er sich nicht aufdrängen, sie nicht belästigen,
ihren Tagesablauf nicht durcheinanderbringen wolle. Aber es waren Floskeln. Er
wusste, dass sie sich über seine Gesellschaft freute. Er las es in ihrem
Gesicht und hörte es in ihrer Stimme. Er lächelte sie an, zuerst höflich, dann
verlegen. Wie, wenn die Situation bei Susan Erwartungen weckte, denen er nicht
genügen konnte? Aber dann griff sie aus den Büchern und Zeitschriften neben dem
Sofa ein Buch und las. Sie saß und las so selbstgenügsam, so behaglich, so
entspannt, dass auch er sich zu entspannen begann. Er suchte und fand ein
Buch, das ihn interessierte, las aber nicht, sondern sah ihr beim Lesen zu.
Bis sie aufschaute und ihn anlächelte. Er lächelte zurück, endlich entspannt,
und machte sich ans Lesen.
6
Als
er um zehn ins Bed & Breakfast kam, saßen Linda und
John vor dem Fernseher. Er sagte ihnen, er brauche am nächsten Morgen kein
Frühstück, er werde bei der jungen Frau in dem kleinen Haus eine Meile weiter
frühstücken, einer Bekanntschaft vom Abendessen im Restaurant.
»Sie
wohnt nicht im großen Haus?«
»Das
macht sie, wenn sie alleine kommt, schon lange nicht mehr.«
»Aber
im letzten Jahr...«
»Im
letzten Jahr kam sie alleine, hatte aber ständig Besuch.«
Richard
hörte Linda und John mit wachsender Irritation zu. »Sie reden von Susan...« Er
merkte, dass sie sich einander nur mit dem Vornamen vorgestellt hatten.
»Susan
Hartman.«
»Ihr
gehört das große Haus mit den Säulen?«
»Ihr
Großvater hat es in den zwanziger Jahren gekauft. Nach dem Tod ihrer Eltern hat
der Verwalter das Anwesen runtergewirtschaftet, die Miete kassiert und nichts
investiert, bis Susan ihn vor ein paar Jahren entlassen und die Häuser und den
Garten wieder hergerichtet hat.«
»Hat
das nicht ein Vermögen gekostet?«
»Es
hat ihr nicht weh getan. Wir hier sind froh - es gab Interessenten, die das
Grundstück parzellieren und das Haus aufteilen oder durch ein Hotel ersetzen
wollten. Hier wäre alles anders geworden.«
Richard
wünschte Linda und John eine gute Nacht und ging auf sein Zimmer. Er hätte
Susan nicht angesprochen, wenn er von ihrem Reichtum gewusst hätte. Er mochte
reiche Leute nicht. Er verachtete ererbten Reichtum und hielt erwirtschafteten
Reichtum für ergaunert. Seine Eltern hatten nie genug verdient, um den vier
Kindern zu geben, was sie ihnen gerne gegeben hätten, und er verdiente am New
York Philharmonie Orchestra gerade
so viel, dass er in der teuren Stadt zurechtkam. Er hatte keine reichen Freunde
und nie welche gehabt.
Er
war wütend auf Susan. Als hätte sie ihn an der Nase herumgeführt. Als hätte sie
ihn in eine Situation gelockt, in der er jetzt festsaß. Saß er fest? Er musste
am nächsten Morgen nicht zu ihr zum Frühstück gehen. Oder er konnte zu ihr
gehen und ihr sagen, sie könnten sich nicht mehr sehen, sie seien zu
verschieden, ihre Leben seien zu verschieden, ihre Welten seien zu verschieden.
Aber sie hatten gerade den Nachmittag gemeinsam vor dem Kamin verbracht und einander
gelegentlich ein paar Sätze vorgelesen, sie hatten zusammen gekocht, gegessen,
abgespült, einen Film angesehen und sich beide wohl gefühlt. Zu verschieden?
Er
putzte seine Zähne mit einer solchen Wut, dass er seine linke Backe verletzte.
Er setzte sich aufs Bett, hielt die Backe und tat sich leid. Er saß tatsächlich
fest. Er hatte sich in Susan verliebt. Nur ein bisschen verliebt, sagte er
sich. Denn was wusste er wirklich über sie? Was mochte er eigentlich an ihr?
Wie sollte es mit der Verschiedenheit ihrer Leben und ihrer Welten gehen?
Dreimal würde sie es vielleicht charmant finden, in dem kleinen italienischen
Restaurant zu essen, das er sich leisten konnte. Sollte er sich danach von ihr
einladen lassen? Oder sich mit
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