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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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Richard hüllten sich hinein und setzten sich unter den Schirm und
tranken Champagner.
    Sie
lehnte sich an ihn. »Erzähl mir von dir. Von vorne, von deiner Mutter und
deinem Vater und deinen Geschwistern, bis jetzt. Stammst du aus Amerika?«
    »Aus
Berlin. Meine Eltern gaben Musikunterricht, er Klavier und sie Geige und
Bratsche. Wir waren vier Kinder, und ich durfte auf die Musikhochschule, obwohl
meine drei Schwestern viel besser waren als ich. Mein Vater wollte es so; er
konnte den Gedanken nicht ertragen, ich würde versagen, wie er versagt hatte.
Also ging ich für ihn auf die Musikhochschule, wurde für ihn zweiter Flötist
im New York Philharmonie Orchestra und
werde für ihn eines Tages erster Flötist in einem anderen guten Orchester
werden.«
    »Leben
deine Eltern noch?«
    »Mein
Vater ist vor sieben Jahren gestorben, meine Mutter letztes Jahr.«
    Sie
dachte nach. Dann fragte sie: »Wenn du nicht für deinen Vater Flötist geworden
wärst, sondern gemacht hättest, was du hättest machen wollen - was wärst du?«
    »Lach
mich nicht aus. Als zuerst mein Vater und dann meine Mutter starben, dachte
ich, endlich bin ich frei und kann machen, was ich will. Aber sie sitzen immer
noch in meinem Kopf und reden auf mich ein. Ich müsste ein Jahr lang raus, weg
vom Orchester, weg von der Flöte, müsste laufen, schwimmen, nachdenken und
vielleicht aufschreiben, wie es zu Hause mit den Eltern und den Schwestern
war. Damit ich am Ende des Jahres wüsste, was ich will. Vielleicht wäre es
sogar die Flöte.«
    »Ich
habe mir manchmal gewünscht, jemand würde auf mich einreden. Meine Eltern
hatten einen Autounfall und starben, als ich zwölf war. Die Tante, zu der ich
kam, mochte Kinder nicht. Ich weiß auch nicht, ob mein Vater mich mochte. Er
hat manchmal gesagt, er freut sich, wenn ich größer bin und er was mit mir
anfangen kann - klang nicht so gut.«
    »Das
tut mir leid. Wie war deine Mutter?«
    »Schön.
Sie wollte, dass ich so schön werde wie sie. Meine Garderobe war so fein wie
ihre, und wenn Mutter mir beim Anziehen half, war sie wunderbar, liebevoll,
zärtlich. Sie hätte mir beigebracht, wie man mit biestigen Freundinnen und
frechen Freunden umgeht. So musste ich alles alleine lernen.«
    Sie
saßen unter dem Schirm und hingen ihren Erinnerungen nach. Wie zwei Kinder,
die sich verirrt haben und nach Hause sehnen, dachte er. Ihm fielen
Lieblingsbücher seiner Kindheit ein, in denen Jungen und Mädchen sich verirrten
und in Höhlen und Hütten überlebten, auf einer Reise überfallen und in die
Sklaverei verschleppt, in London geraubt und zum Betteln und Stehlen gezwungen
oder aus dem Tessin als Schornsteinfeger nach Mailand verkauft wurden. Er hatte
mit den Kindern um den Verlust der Eltern getrauert und auf die Rückkehr zu
ihnen gehofft. Aber der Reiz der Geschichten lag darin, dass die Kinder ohne
die Eltern zurechtkamen. Wenn sie schließlich nach Hause zurückkehrten, waren
sie den Eltern entwachsen. Warum ist es so schwer, selbständig zu sein, wozu
man doch nur sich selbst braucht und niemand anders? Er seufzte.
    »Was
ist?«
    »Nichts«,
sagte er und legte den Arm um sie.
    »Du
hast geseufzt.«
    »Ich
wäre gerne weiter, als ich bin.«
    Sie
kuschelte sich an seine Seite. »Das Gefühl kenne ich. Aber ist es nicht so,
dass wir in Schüben weiterkommen? Lange tut sich nichts, und plötzlich erleben
wir eine Überraschung, haben eine Begegnung, treffen eine Entscheidung und
sind nicht mehr dieselben wie zuvor.«
    »Nicht
mehr dieselben wie zuvor? Ich war vor einem halben Jahr auf einem
Klassentreffen, und die, die in der Schule anständig und angenehm gewesen
waren, waren's immer noch, und die Arschlöcher waren immer noch Arschlöcher.
Den anderen wird es mit mir nicht anders ergangen sein. Für mich war es ein
Schock. Da arbeitet man an sich, denkt, man verändert und entwickelt sich, und
die anderen erkennen einen sofort als den wieder, der man schon immer war.«
    »Ihr
Europäer seid Pessimisten. Ihr kommt aus der Alten Welt und könnt euch nicht
vorstellen, dass die Welt neu wird und dass Menschen neu werden.«
    »Lass
uns am Strand wandern. Der Regen hat fast aufgehört.«
    Sie
schlugen die Handtücher um sich, liefen über den Strand und neben dem Meer. Sie
liefen mit bloßen Füßen, und der nasse, kalte Sand prickelte.
    »Ich
bin kein Pessimist. Ich hoffe immer, dass mein Leben besser wird.«
    »Ich
auch.«
    Als
es wieder heftiger regnete, gingen sie zurück zu Susans Haus. Sie froren.
Während

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