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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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ängstlich. »Ihr Europäer kennt
das nicht, habe ich gelesen. Ihr nehmt das Leben als Schicksal, an dem man
nichts ändern kann.«
    »Ja«,
sagte er, »und wenn uns bestimmt ist, unsere Väter zu erschlagen und unsere
Mütter zu beschlafen, dann gibt es nichts, was wir dagegen tun können.«
    Sie
lachte. »Dann könnt ihr eigentlich nichts gegen die Fertility Farm haben. Wenn
sie eurer Bestimmung nicht hilft, kann sie ihr doch auch nicht schaden.« Sie
zuckte entschuldigend die Schultern. »Es ist nur, weil es mit Robert damals
nicht geklappt hat. Vielleicht lag es gar nicht an mir, vielleicht lag es an
ihm, wir haben keine Tests gemacht. Trotzdem habe ich seitdem Angst.«
    Er
nickte. Auch er bekam Angst. Vor den mindestens zwei und höchstens vier
Kindern. Davor, Susan auf der Fertility Farm bei bestimmter Diät zu bestimmten
Zeiten lieben zu müssen. Vor dem lauten Ticken der biologischen Uhr, bis das
vierte Kind kam oder keines mehr kommen konnte. Davor, dass die Hingabe und
Leidenschaft, mit der Susan ihn liebte, nicht ihm galt.
    »Du
musst keine Angst haben. Ich sage einfach, was mich beschäftigt. Das heißt
nicht, dass das mein letztes Wort ist. Du zensierst, was du sagst.«
    »Das
ist wieder europäisch.« Er wollte nicht über seine Angst reden. Sie hatte
recht; er zensierte, was er sagte, sie sagte, was sie gerade dachte und fühlte.
Nein, sie wollte nicht den Aufenthalt in der Fertility Farm mit ihm planen.
Aber sie wollte die Zukunft mit ihm planen, und obwohl er das auch wollte, von
Tag zu Tag mehr, hatte er so viel weniger einzubringen als sie, keine Wohnung,
keine Häuser, kein Geld. Hätten er und die Frau am ersten Pult der zweiten
Geigen sich ineinander verliebt, dann hätten sie zusammen eine Wohnung gesucht
und zusammen entschieden, was von ihren und was von seinen Möbeln in die neue
Wohnung kommt und was sie bei Ikea oder beim Trödel suchen müssen. Susan war
sicher bereit, ein oder zwei Zimmer mit seinen Sachen einzurichten. Aber er
wusste, dass es nicht stimmen würde.
    Er
konnte seine Flöte und seine Noten mitbringen und an dem Notenständer üben, den
sie sicher unter ihren Möbeln hatte. Er konnte seine Bücher in ihre Regale
stellen, seine Papiere in den Aktenschrank ihres Vaters legen und seine Briefe
an dessen Schreibtisch schreiben. Seine Kleider hängte er am besten gleich in
ihren Schrank hier auf dem Land; in der Stadt würde er in ihnen keine gute
Figur an ihrer Seite machen. Sie würde ihm mit Freude und modischem Verstand
neue Kleider kaufen.
    Er
übte viel. Meistens trocken, wie er es nannte, wenn er einfach den kleinen
Finger beugte und streckte. Immer öfter auch an der Flöte. Sie wurde ein Stück
von ihm, wie sie es bisher nicht gewesen war. Sie gehörte ihm, war viel wert,
mit ihr schuf er Musik und verdiente Geld, er konnte sie überallhin mitnehmen,
er war überall mit ihr zu Hause. Und er bot Susan mit seinem Spiel, was niemand
sonst ihr bieten konnte. Wenn er improvisierte, fand er Melodien, die zu ihren
Stimmungen passten.
     
    9
     
    Das
Eckzimmer des großen Hauses war ihr Lieblingszimmer. Die vielen Fenster
reichten bis zum Boden und wurden bei schönem Wetter zur Seite geschoben, bei
rauhem durch Läden geschützt. Hier fühlten sie sich, wenn der Regen sie nicht
am Strand wandern ließ, dem Meer, den Wellen, den Möwen, den gelegentlichen
Schiffen doch nahe. Manchmal peitschte der Regen ihnen am Strand so kalt und
scharf ins Gesicht, dass es weh tat.
    Das
Zimmer war mit Korbmöbeln ausgestattet, mit Liegen, Sesseln, Tischen und
weichen Polstern auf dem harten Geflecht. »Schade«, sagte er, als sie ihn
durchs Haus führte und er die Liegen sah, nur für eine Person breit genug. Zwei
Tage später hielt, als sie im kleinen Salon frühstückten, ein Lastwagen, und
zwei Männer in blauen Overalls trugen eine Doppelliege ins Haus. Sie passte zu
den anderen Möbeln, und ihr Polster trug dasselbe Blumenmuster wie die anderen
Polster.
    Das
Wetter sorgte dafür, dass ein Tag dem anderen glich. Es regnete Tag um Tag,
manchmal steigerte der Regen sich zum Gewitter, manchmal setzte er für Stunden
und manchmal nur für Minuten aus, manchmal riss der Himmel kurz auf, und die
Dächer leuchteten blank. Wenn das Wetter es zuließ, wanderten Susan und Richard
am Strand, wenn die Vorräte ausgingen, fuhren sie zum Supermarkt, sonst blieben
sie im großen Haus. Susan hatte beim Wechsel vom kleinen ins große Haus Clarks
Frau Mita angerufen, die jeden Tag für einige Stunden kam,

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