Schlink,Bernhard
und wusste, dass er im
nächsten Monat zum ersten Mal die Abrechnung nicht würde zahlen können. Es
beunruhigte ihn, aber mehr noch irritierte ihn, dass ihn an einem solchen Tag
die Lappalie eines überzogenen Kreditkartenkontos beunruhigen konnte. Also
kaufte er im Wein- und Spirituosenladen nebenan drei Flaschen Champagner.
Auf
der Heimfahrt fragte sie: »Holen wir deine Sachen?«
»Vielleicht
schlafen Linda und John schon. Ich will sie nicht wecken.«
Susan
nickte. Sie fuhr schnell und sicher, und daran, wie sie die vielen Kurven nahm,
merkte er, dass sie das Auto und die Strecke gut kannte. »Bist du mit dem Auto
von Los Angeles gekommen?«
»Nein.
Das Auto gehört hierher. Clark kümmert sich um Haus und Garten und auch ums
Auto.«
»Du
wohnst im großen Haus nur, wenn du Gäste hast?«
»Wollen
wir morgen hochziehen?«
»Ich
weiß nicht. Es ist...«
»Es
ist für mich zu groß. Aber mit dir würde es Spaß machen. Wir würden in der
Bibliothek lesen, im Billardzimmer spielen, im Musikzimmer würdest du Flöte
üben, im kleinen Salon würde ich das Frühstück und im großen das Abendessen
servieren lassen.« Sie redete immer fröhlicher, immer entschlossener. »Wir
schlafen im großen Schlafzimmer, in dem meine Großeltern und Eltern geschlafen
haben. Oder wir schlafen in meinem Zimmer in dem Bett, in dem ich als Mädchen
von meinem Prinzen geträumt habe.«
Er
sah ihr lächelndes Gesicht im matten Licht der Armaturen. Susan war an ihre
Erinnerungen verloren. Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, war sie weit weg.
Richard wollte fragen, von welchem Schauspieler oder Sänger sie damals geträumt
hatte, wollte alles über die Männer in ihrem Leben wissen, wollte hören, dass
sie alle nur Propheten waren und er der Messias. Aber dann kam ihm seine Sorge
um die anderen Männer ebenso kleinlich vor wie die um das überzogene
Kreditkartenkonto. Er war müde und legte den Kopf an Susans Schulter. Sie
strich ihm mit der Linken über den Kopf, drückte den Kopf an ihre Schulter, und
er schlief ein.
8
Über
die Männer in Susans Leben erfuhr er alles in den nächsten Tagen. Er erfuhr
auch von ihrer Sehnsucht nach Kindern, mindestens zwei, am liebsten vier. Mit
ihrem Mann hatte es zunächst nicht geklappt, dann hatte sie ihn nicht mehr
geliebt und sich von ihm scheiden lassen. Er erfuhr, dass sie auf dem College
Kunstgeschichte studiert hatte, auf die Business School gegangen war und eine Firma für Spielzeugeisenbahnen
saniert hatte. Sie hatte die Firma von ihrem Vater geerbt und inzwischen mit
den anderen Firmen, die sie geerbt hatte, verkauft. Er erfuhr, dass sie eine
Wohnung in Manhattan hatte, die sie gerade renovieren ließ, weil sie von Los
Angeles nach New York ziehen wollte. Er erfuhr auch, dass sie einundvierzig
war, zwei Jahre älter als er.
Immer
wieder mündete, was Susan von ihrem bisherigen Leben erzählte, in Pläne für
eine gemeinsame Zukunft. Sie beschrieb ihre Wohnung in New York: die breite
Treppe, die vom unteren Geschoss der Wohnung im sechsten Stock zum oberen im
siebten führte, die breiten Flure, die großen, hohen Räume, die Küche mit dem
Essensaufzug, den Blick auf den Park. Sie war in der Wohnung aufgewachsen, bis
ihre Tante sie nach dem Tod der Eltern nach Santa Barbara holte. »Ich bin die
Treppengeländer runtergerutscht und in den Fluren Rollschuh gelaufen, habe in
den Essensaufzug gepasst, bis ich sechs war, und konnte vom Bett das Spiel der
Baumwipfel vor dem Fenster sehen. Du musst dir die Wohnung anschauen!« Sie
konnte sie ihm nicht zeigen, weil sie vom Cape nach Los Angeles fliegen und den
Umzug der Stiftung und den eigenen Umzug vorbereiten musste. »Triffst du dich
mit dem Architekten? Wir können noch alles ändern.«
Ihr
Großvater hatte nicht nur die zweistöckige Wohnung, sondern das ganze Haus an
der 5th Avenue
günstig in der Wirtschaftskrise gekauft. Wie das Anwesen auf dem Cape und eines
in den Adirondacks. »Auch das muss ich wieder herrichten. Hast du Spaß an
Architektur? Am Bauen und Renovieren und Einrichten? Ich habe Pläne bekommen
und mitgebracht - schaust du sie mit mir an?«
Sie
erzählte von einem befreundeten Paar, das seit Jahren vergebens auf Kinder
gehofft und seine Ferien gerade auf einer Fertility Farm verbracht hatte. Sie
beschrieb die Diät und das Programm, das den beiden Schlaf- und Gymnastik- und
Essenszeiten und auch die Zeiten vorgab, zu denen sie sich zu lieben hatten.
Sie fand es lustig und war zugleich ein bisschen
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