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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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weinte, und blieb
erschrocken stehen. Sie hob ihr tränennasses Gesicht und legte ihm die Arme um
den Hals. »So was Schönes hat noch nie jemand zu mir gesagt. Dass ihm leidtut,
was er zu mir gesagt hat. Mir tut es auch leid. Ich habe auch geschrien, ich
habe dich beschimpft und geschlagen. Wir machen das nie wieder, hörst du, nie
wieder.«
     
    10
     
    Dann
war der letzte Tag da. Sie flog um halb fünf und er um halb sechs, und sie
frühstückten in Ruhe, das erste Mal auf der Terrasse. Die Sonne schien so warm,
als seien der Regen und die Kälte nur ein Infekt gewesen, von dem der Sommer
sich wieder erholt hatte. Dann machten sie eine Wanderung am Strand.
    »Es
sind nur ein paar Wochen.«
    »Ich
weiß.«
    »Denkst
du morgen an den Termin mit dem Architekten?«
    »Ja.«
    »Und
denkst du an die Matratze?«
    »Ich
habe nichts vergessen. Ich kaufe eine Matratze und Pappmöbel und
Plastikgeschirr und -besteck. Wenn ich Zeit habe, gehe ich ins Möbellager und
schaue, ob mir was von den Sachen deiner Eltern gefällt. Wir richten alles
gemeinsam ein, Stück um Stück. Ich liebe dich.«
    »Hier
sind wir uns am ersten Tag begegnet.«
    »Ja,
auf dem Hinweg. Und auf dem Rückweg dort drüben.«
    Sie
redeten darüber, wie sie sich begegnet waren, wie unwahrscheinlich ihre
Begegnungen waren, weil es doch für ihn nähergelegen hätte, in die eine
Richtung zu gehen, und für sie, in die andere, wie sie sich am Abend im
Fischrestaurant verfehlt hätten, wenn sie ihn nicht angelächelt, nein, wenn er
nicht zu ihr hingesehen hätte, wie sie ihn gefunden hatte, nein, wie er sie.
    »Wollen
wir packen und dann im Eckzimmer die Fenster zur Seite schieben? Wir haben noch
ein paar Stunden.«
    »Du
musst nicht viel packen. Lass deine Sommer- und Strandsachen hier, dann warten
sie nächstes Jahr auf dich.«
    Er
nickte. Obwohl Linda und John ihm einen Teil des Geldes, das er vorab bezahlt
hatte, zurückgezahlt hatten, war sein Kreditkartenkonto heillos überzogen. Aber
die Vorstellung, sich für das, was er hier ließ, in New York neue Sachen kaufen
und noch mehr verschulden zu müssen, schreckte ihn nicht mehr. So war das eben,
wenn man über seine Verhältnisse liebte. Es würde sich schon eine Lösung
finden.
    Mit
den gepackten Reisetaschen neben der Tür fühlte sich das Haus fremd an. Sie
stiegen die Treppen hoch, wie sie es oft getan hatten. Aber sie traten sachte
auf und redeten leise.
    Sie
schoben die Fenster zur Seite und hörten das Rauschen des Meers und die
Schreie der Möwen. Immer noch schien die Sonne, aber Richard holte aus dem
Schlafzimmer die Decke und breitete sie über die Doppelliege. »Komm!«
    Sie
zogen sich aus und schlüpften unter die Decke. »Wie soll ich ohne dich
schlafen?«
    »Und
wie ich ohne dich?«
    »Kannst
du wirklich nicht mit mir nach Los Angeles fliegen?«
    »Ich
habe Probe. Kannst du nicht doch mit mir nach New York kommen?«
    Sie
lachte. »Soll ich das Orchester kaufen? Und du setzt die Proben an?«
    »So
schnell kannst du das Orchester nicht kaufen.«
    »Soll
ich anrufen?«
    »Bleib!«
    Sie
hatten Angst vor dem Abschied, und zugleich versetzte sein Bevorstehen sie in
eigentümliche Leichtigkeit. Sie waren nicht mehr im gemeinsamen und noch nicht
im eigenen Leben, sie waren im Niemandsland. So liebten sie sich auch, zuerst
ein bisschen scheu, weil sie sich wieder fremder wurden, und dann heiter. Wie
immer sah sie ihn dabei an, selbstvergessen, vertrauensvoll.
    Sie
fuhren in Susans Auto zum Flughafen. Clark würde es abholen und zurückbringen.
Sie tauschten aus, wann sie wo sein und telefonisch erreichbar sein würden, als
hätten sie nicht beide ein Handy, über das sie jederzeit überall erreichbar
waren. Sie beschrieben einander, was sie in den Tagen und Wochen bis zu ihrem
Wiedersehen machen würden, und manchmal spielten sie damit, wie sie dieses und
jenes in Zukunft zusammen machen würden. Je näher sie dem Flughafen kamen,
desto stärker wurde Richards Bedürfnis, Susan zum Abschied etwas zu sagen, was
sie begleiten würde. Aber ihm fiel nichts ein. »Ich liebe dich«, sagte er immer
wieder, »ich liebe dich.«
     
    11
     
    Vom
Flugzeug aus hätte er gerne noch einmal Haus und Strand gesehen. Aber sie lagen
im Norden, und der Flug ging nach Südwesten. Er sah auf Meer und Inseln, dann
auf Long Island und schließlich auf Manhattan. Das Flugzeug flog eine große
Kehre bis an den Hudson, und er erkannte die Kirche, von der es zu seiner
Wohnung nur wenige Schritte waren.
    Er
hatte sich nur

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