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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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gingen.
    »Verdammt, eure Mutter gibt einfach zu viel Geld für ihren Kunstkram aus!«, brummte er, als würde er zu sich selbst sprechen. Dann verkündete er mit lauterer Stimme: »Meine Kinder müssen keinen Hunger schieben!« Als wir ausstiegen, rief er uns hinterher: »Macht euch keine Sorgen, Kinder!«
    In der Mittagspause saßen Brian und ich zusammen in der Cafeteria. Ich tat so, als würde ich ihm bei den Schulaufgaben helfen, damit uns keiner fragte, warum wir denn nichts aßen, da erschien Dad mit einer großen Einkaufstüte im Arm in der Tür. Ich sah, wie er den Raum absuchte, bis er uns entdeckte. »Meine Kleinen haben ihr Mittagessen zu Hause vergessen«,
    erklärte er dem Lehrer, der in der Cafeteria Aufsicht führte, als er auf uns zuging. Er stellte die Einkaufstüte vor Brian und mir ab und nahm einen ganzen Laib Brot, eine Packung Mortadella, ein Glas Mayonnaise, eine große Flasche Orangensaft, zwei Äpfel, ein Glas Essiggurken und zwei Schokoriegel heraus.
    »Hab ich euch je im Stich gelassen?«, fragte er Brian und mich, drehte sich um und ging.
    So leise, dass Dad ihn nicht hören konnte, sagte Brian: »Ja.«
    »Dad muss endlich vernünftig für uns sorgen«, sagte Lori, die in den leeren Kühlschrank starrte.
    »Tut er doch!«, sagte ich. »Er verdient Geld mit Gelegenheitsjobs.«
    »Für Schnaps gibt er mehr aus, als er verdient«, sagte Brian. Er spitzte gerade einen Stock an und ließ die Späne direkt vor sich auf den Boden fallen. Brian hatte immer ein Taschenmesser dabei, und oft raspelte er an irgendeinem Stück Holz herum, wenn er über etwas nachdachte.
    »Nicht bloß für Schnaps«, sagte ich. »Das meiste ist für seine Tüfteleien an dem Zyanidschwemmverfahren.«
    »Dafür muss Dad nicht mehr tüfteln«, sagte Brian. »Er ist doch Experte.« Er und Lori prusteten los. Ich blickte sie nur wütend an. Ich wusste mehr über Dads Situation als die beiden, weil er mit mir mehr redete als mit irgendwem sonst in der Familie. Wir gingen noch immer ab und zu Dämonen jagen in der Wüste, nur um der alten Zeiten willen, denn inzwischen war ich sieben und schon zu groß, um noch an Dämonen zu glauben. Dad erzählte mir alles über seine Pläne, und er zeigte mir seine Blätter mit Graphiken und Berechnungen und geologischen Karten, auf denen die Sedimentschichten verzeichnet waren, die Gold enthielten.
    Und er sagte mir, dass ich sein Lieblingskind war, aber ich musste versprechen, das nicht Lori oder Brian oder Maureen zu verraten. Es war unser Geheimnis. »Ich schwöre dir, Schätzchen, manchmal hab ich das Gefühl, du bist hier die Einzige, die noch an mich glaubt«, sagte er. »Ich weiß wirklich nicht, was ich tun sollte, wenn du je den Glauben an mich verlieren würdest.« Ich lächelte und beteuerte ihm, dass ich den Glauben an ihn nie verlieren würde. Und ich gelobte mir selbst, das nie zu tun.
    Als Mom schon einige Monate als Lehrerin arbeitete, kamen Brian und ich einmal am Green Lantern vorbei. Die Wolken über der untergehenden Sonne hatten scharlachrote und lila Streifen. Die Temperatur fiel innerhalb weniger Minuten von sengend heiß auf frostig kühl, wie immer, wenn es in der Wüste dämmerte. Eine Frau mit einem Fransenschal um die Schultern rauchte auf der Veranda des Green Lantern eine Zigarette. Sie winkte Brian zu, doch er winkte nicht zurück.
    »Juhu! Brian, Süßer, ich bin's! Ginger!«, rief sie.
    Brian achtete nicht auf sie.
    »Wer ist das?«, wollte ich wissen.
    »Eine Freundin von Dad«, sagte er. »Die ist blöd.«
    »Wieso blöd?«
    »Sie kennt nicht mal alle Wörter in einem Sad-Sack-Weitchen«, sagte Brian.
    Er erzählte mir, dass Dad vor einiger Zeit mit ihm an seinem Geburtstag ausgegangen war. Im Drugstore durfte Brian sich irgendwas aussuchen, und er entschied sich für ein Sad-Sack-Comic-Heft. Anschließend gingen sie ins Nevada Hotel, das gleich neben dem Owl Club lag und draußen ein Schild hatte mit der Aufschrift »BAR - GRILL - SAUBER - MODERN«. Sie aßen was zusammen mit Ginger, die viel lachte und furchtbar laut redete und Dad und Brian andauernd anfasste. Dann gingen sie alle drei nach oben in ein Hotelzimmer. Es war eine Suite, mit einem kleinen Wohnzimmer und separatem Schlafzimmer. Dad und Ginger gingen ins Schlafzimmer, während Brian im Wohnzimmer blieb und sein neues Comic-Heft las. Später, als Dad und Ginger wieder herauskamen, setzte sie sich neben Brian. Brian blickte nicht hoch. Er starrte auf das Comic-Heft, obwohl er es inzwischen

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