Schloss aus Glas
schon zweimal gelesen hatte. Ginger sagte, wie toll sie Sad Sack fand. Und Dad bestand darauf, dass Brian Ginger das Comic-Heft schenkte, weil ein Gentleman so was nun mal tut.
»Es war meins!«, sagte Brian. »Und dauernd sollte ich ihr die längeren Wörter vorlesen. Die ist erwachsen und kann nicht mal ein Comic-Heft lesen.«
Brians heftige Abneigung gegen Ginger konnte nicht allein daher rühren, dass sie ihm das Comic-Heft abgeluchst hatte. Ich fragte mich, ob er irgendwas über Ginger und die anderen Ladys im Green Lantern herausgefunden hatte. Vielleicht wusste er, warum Mom meinte, sie wären schlecht. Vielleicht war er ja deshalb wütend. »Hast du rausgekriegt, was die im Green Lantern machen?«, fragte ich.
Brian starrte geradeaus. Neugierig folgte ich seinem Blick, aber da war nichts außer den Tuscarora Mountains, die sich dem dunkler werdenden Himmel entgegenreckten. »Die verdient 'ne Menge Geld«, sagte er, »da hätte sie sich ihr dämliches Comic-Heft doch selbst kaufen können.«
Manche Leute machten sich gern über Battie Mountain lustig. Einmal veranstaltete eine große Zeitung an der Ostküste einen Wettbewerb um den hässlichsten, trostlosesten, gottverlassensten Ort im ganzen Land und kürte Battie Mountain zum Sieger. Die Leute, die dort wohnten, schätzten es selbst nicht besonders. Sie zeigten gern auf das große gelb-rote Leuchtschild oben an einem Pfosten an der Shell-Tankstelle - das »S« war kaputt, und es stand nur noch »HELL« da -, und dann sagten sie mit einer Art perversem Stolz: »Stimmt genau, da wohnen wir, in der Hölle!«
Aber ich war glücklich in Battie Mountain. Wir waren schon fast ein Jahr dort, und für mich war es mein Zuhause -das erste richtige Zuhause, das ich kannte. Dad war kurz vor der Fertigstellung seines Zyanid-Gold-Verfahrens, Brian und ich hatten die Wüste, und Maureen, die seidenweiches weißblondes Haar und eine ganze Bande imaginärer Freunde hatte, lief glücklich und ohne Windel durch die Gegend. Ich dachte, die Zeiten, in denen wir Hals über Kopf unsere sieben Sachen packten und mitten in der Nacht weiterzogen, wären vorüber.
Kurz nach meinem achten Geburtstag zogen Billy Deel und sein Dad ins Gleisviertel. Billy war drei Jahre älter als ich, groß und mager, mit rotblondem Bürstenhaar und blauen Augen. Aber er sah nicht gut aus, denn er hatte einen schiefen Kopf. Bertha Whitefoot, eine Halbindianerin, die nicht weit von uns in einem Schuppen wohnte und in ihrem umzäunten Garten an die fünfzig Hunde hielt, sagte, das käme daher, dass Billy als Baby nie von seiner Mom umgedreht worden wäre. Sie hätte ihn einfach tagaus, tagein in derselben Position liegen lassen, wodurch sich die eine Seite seines Kopfes auf der Matratze ein bisschen platt gedrückt hätte. Es fiel einem nur dann auf, wenn man ihn direkt von vorn anschaute, und das taten nicht viele Leute, weil Billy immer in Bewegung war, als hätte er Hummeln im Hintern. Seine Marlboros hatte er in seinem hochgerollten T-Shirt-Ärmel stecken, und er zündete sich seine Zigaretten mit einem Zippo-Feuerzeug an, auf dem eine nackte Frau zu sehen war, die sich gerade bückte.
Billy wohnte mit seinem Dad ein Stück weiter die Schienen hinunter in einem Haus aus Teerpappe und Wellblech. Er sprach nie von seiner Mom, und er machte unmissverständlich klar, dass keiner das Thema anschneiden sollte, deshalb erfuhr ich auch nie, ob sie davongelaufen oder gestorben war, und sein Dad hockte fast den lieben langen Tag im Owl Club herum.
Bertha Whitefoot nannte Billy irgendwann nur noch »den Teufel mit Bürstenschnitt« und »den Schrecken des Gleisviertels«. Sie behauptete, er habe ein paar von ihren Hunden angezündet und Katzen aus der Nachbarschaft das Fell abgezogen und die nackten rosa Körper an einer Wäscheleine aufgehängt, um Dörrfleisch daraus zu machen. Billy sagte, Bertha wäre ein verlogenes Miststück. Ich wusste nicht, wem ich glauben sollte. Schließlich war Billy vorbestraft. Er hatte uns erzählt, dass er mal in Reno wegen Ladendiebstahl und Beschädigung von Autos in einer Jugendstrafanstalt gesessen hatte. Kurz nachdem er ins Gleisviertel gezogen war, fing Billy an, mir nachzulaufen. Dauernd kuckte er mich an und erzählte den anderen Kindern, er wäre jetzt mein Freund und wir würden zusammen gehen.
»Nein, das stimmt nicht«, beteuerte ich oft, obwohl mir insgeheim der Gedanke gefiel, dass er sich das wünschte.
Als er schon ein paar Monate bei uns in der
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