Schloss aus Glas
betrachtete ihn von allen Seiten. Mom hatte eine Sammlung mit indianischem Türkis- und Silberschmuck, den sie in Grandmas Haus verwahrte, damit Dad ihn nicht versetzte. Das meiste davon war schon alt und sehr wertvoll - irgendein Mann aus einem Museum in Phoenix bedrängte sie immer wieder, ihm ein paar Stücke zu verkaufen -, und wenn wir Grandma besuchten, durften Lori und ich mit Moms Erlaubnis die schweren Halsketten und Armbänder und Concha-Gürtel anlegen. Billys Ring sah genauso aus wie einer von Moms. Ich fuhr mit den Zähnen und der Zunge darüber, wie Mom es mir beigebracht hatte. Der leicht bittere Geschmack verriet mir, dass es echtes Silber war.
»Wo hast du den her?«, fragte ich.
»Der hat meiner Mom gehört«, sagte Billy.
Der Ring war wirklich schön, ein schlichter, dünner Reif mit einem ovalen, dunklen Türkis in einer Fassung aus verschlungenen Silbersträngen. Ich hatte überhaupt keinen Schmuck, und es war lange her, dass mir jemand was geschenkt hatte, abgesehen von Venus.
Ich probierte den Ring an. Er war viel zu groß für meinen Finger, aber ich konnte Garn darumwickeln, so wie die Mädchen in der Highschool das machten, wenn sie den Ring ihres Freundes trugen. Allerdings fürchtete ich, dass Billy denken könnte, ich würde jetzt mit ihm gehen, wenn ich den Ring annahm. Er würde es den anderen Kindern erzählen, und wenn ich es dann abstritt, würde er auf den Ring zeigen. Andererseits dachte ich mir, dass Mom das wahrscheinlich gut fand, weil es Billy freuen würde, wenn ich den Ring annahm. Ich entschied mich für einen Kompromiss.
»Ich behalte ihn«, sagte ich. »Aber ich werde ihn nicht tragen.«
Billy lächelte übers ganze Gesicht, und einen Moment lang vergaß ich seinen schiefen Kopf.
»Aber denk bloß nicht, dass wir jetzt miteinander gehen«, sagte ich. »Und bild dir bloß nicht ein, dass du mich küssen darfst.«
Ich erzählte keinem von dem Ring, nicht mal Brian. Tagsüber verwahrte ich ihn in der Hosentasche, und abends versteckte ich ihn ganz unten in dem Pappkarton mit meinen Anziehsachen.
Aber Billy Deel hatte nichts Besseres zu tun, als überall damit anzugeben, dass er mir den Ring geschenkt hatte, und er erzählte den anderen Kindern auch noch, wir würden heiraten, sobald wir alt genug wären. Als ich davon erfuhr, wusste ich, dass es ein Fehler gewesen war, den Ring anzunehmen. Ich wusste auch, dass ich ihn zurückgeben sollte. Aber ich tat es nicht. Ich wollte es tun, und jeden Morgen, wenn ich ihn mir in die Tasche steckte, nahm ich mir fest vor, ihn Billy zurückzugeben, aber ich brachte es nicht übers Herz. Der verflixte Ring war einfach zu schön.
Eine Woche später spielte ich mit ein paar Nachbarskindern an den Gleisen Verstecken. Ich hatte das perfekte Versteck gefunden, einen kleinen Geräteschuppen hinter einem großen Beifußbusch, wo sich noch keiner versteckt hatte. Aber noch bevor der Junge, der mit Suchen dran war, zu Ende gezählt hatte, ging die Tür auf, und es wollte noch jemand herein. Es war Billy. Dabei spielte er nicht mal mit.
»Das ist mein Versteck«, zischte ich ihm zu. »Such dir selbst eins.«
»Geht nicht mehr«, sagte er. »Der ist gleich mit Zählen fertig.«
Billy kam hereingekrochen. Der Schuppen war winzig, schon für mich allein reichte der Platz nur, wenn ich mich ganz klein machte. Ich wollte es zwar nicht zugeben, aber es machte mir Angst, Billy so nahe zu sein. »Es ist zu eng!«, wisperte ich. »Du musst raus.«
»Nein«, sagte Billy. »Das geht schon.« Er sortierte seine Beine so, dass sie gegen meine drückten, und ich konnte seinen Atem spüren.
»Es ist zu eng«, wiederholte ich.
Er tat so, als hätte er mich nicht gehört. »Du weißt doch, was sie im Green Lantern machen, oder?«
Ich konnte die gedämpften Rufe der anderen Kinder hören, die von dem Jungen, der dran war, gejagt wurden. Hätte ich mir bloß nicht so ein tolles Versteck ausgesucht. »Klar«, sagte ich.
»Was denn?«
»Die Frauen sind nett zu den Männern.«
»Ja, aber was machen sie genau?« Er wartete. »Siehst du, du weißt es nicht.«
»Weiß ich doch«, sagte ich.
»Soll ich's dir verraten?«
»Du sollst dir ein anderes Versteck suchen.«
»Sie fangen mit Küssen an«, sagte er. »Schon mal jemanden geküsst?«
In den schmalen Lichtstreifen, die durch die Ritzen in den Seitenwänden des Schuppens fielen, konnte ich die Schmutzringe an seinem mageren Hals sehen. »Klar. Schon oft.«
»Wen denn?«
»Meinen Dad.«
»Dein
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