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Schloss der Engel: Roman (German Edition)

Schloss der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Schloss der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Itterheim , Jessica Itterheim
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können, mogelte ich mich frühzeitig aus meinem Kunstprojekt. Vorsichtig glättete ich das Pergament. Es musste schon viele Botschaften überbracht haben. An manchen Stellen war es so dünn, dass die helle Oberfläche meines Schreibtisches hindurchschimmerte.
    Zufall? Oder war ich dem Rätsel einen Schritt näher gekommen?
    Mein Puls schnellte nach oben. Mit fiebrigen Fingern tastete ich über den Brief. Es gab fünf Stellen, die unverkennbar eine dünnere Struktur aufwiesen. Ich hielt das Pergament gegen die Scheibe meines Dachfensters, und tatsächlich: Fünf helle Punkte stachen deutlich hervor.
    Ich jubelte. Endlich hatte ich einen Hinweis entdeckt! Aber worauf?
    Um zu überprüfen, ob die hellen Stellen mit den danebenstehenden Textpassagen in irgendeiner Beziehung standen, kehrte ich an meinen Schreibtisch zurück. Ich untersuchte sie auf eine verschlüsselte Botschaft, indem ich die Punkte in allen möglichen Kombinationen miteinander verband und die Buchstaben, die auf den Linien lagen, zusammensetzte. Nichts – zumindest nichts, was einen Sinn ergeben hätte.
    Gereizt warf ich den Brief in die Schreibtischschublade – anscheinend war ich zu blöd, das Rätsel zu lösen.
    Marisa und Max erwarteten mich auf dem Tennisplatz. Sie hatten von Florian und mir eine Revanche für ihre gestrige Niederlage gefordert, und ich nutzte die Gelegenheit, meinen Frust loszuwerden.
    Vor dem Abendessen kramte ich das Pergament noch mal hervor. Beim Tennismatch hatte ich meine überschüssige Kraft verbraucht und fand nun wieder ein wenig Geduld, um mich meinem mysteriösen Rätsel zu widmen. Erneut unterzog ich das Pergament einer genauen Prüfung. Ich musste irgendetwas übersehen haben!
    Mit meiner Schreibtischlampe beleuchtete ich die Rückseite des Briefes. Die fünf Punkte stachen deutlich hervor, aber ich entdeckte noch etwas anderes: Schattenhaft, wie eine verschmutzte Stelle, gab es einen Teil, der weniger Licht durchscheinen ließ. Ich hielt die Haut dichter gegen die Lampe und erkannte die Konturen von zwei sich schneidenden Balken. Alle hellen Punkte lagen innerhalb dieses Bereichs. Wie konnte mir das bloß entgangen sein?!
    Ich hastete zu meinem Schrank und zog den Samtbeutel hervor, den ich unter meiner Wäsche versteckt hatte. Mit zittrigen Fingern nahm ich das Kreuz aus dem Stoffsäckchen, schob es unter den Brief und brachte es mit der dunklen Kontur zur Deckung. Es passte!
    Nachdem ich die letzte dünne Stelle mit einem spitzen Bleistift durchstoßen hatte, entfernte ich das Pergament. Mein Herz klopfte vor Aufregung bis zum Hals. Fünf Buchstaben hatte die Bleistiftmine auf der gravierten Inschrift des Kreuzes markiert: S O C B O . Ein Blick genügte, und ich verstand die Botschaft: bosco – Wald.
    Ich schleuderte das Kreuz und den Brief in die Schublade. Wald! Hier gab es Wald ohne Ende, was sollte ich mit so einem Hinweis anfangen?
    Natürlich hoffte ich auf einen erleuchtenden Traum. Mein Wunsch wurde erhört. In seiner ganzen Pracht stand Christopher vor mir und blickte mit seinen Smaragdaugen tief in mein sich überschlagendes Herz. Ich schmolz vor Glück – und starb vor Kummer: Eindringlich bat er mich, meine Suche aufzugeben.
    Lynn, bitte! Suche nicht länger nach meiner Welt, dort kann dich niemand beschützen. Bleib, wo du bist, und ich werde bei dir sein, jede Nacht – in deinen Träumen.
    Der nasse Fleck auf meinem Kissen war riesig, und der Wunsch, bei Christopher zu sein, quälte stärker denn je – trotzseines unglaublichen Angebots. Doch ihm nur in meinen Träumen zu begegnen, ihn niemals wieder berühren zu können, genügte mir nicht. Noch hatte ich Zeit, das Rätsel zu lösen.
    Als ich nach dem Frühstück in mein Zimmer zurückkehrte, fand ich eine schwarze Feder auf meinem Schreibtisch. Sie glich der Rabenfeder, die ich in meiner Engelsbiostunde gesehen hatte. Der Wind musste sie durch das Fenster geweht haben. Oder Raffael, der schon das Päckchen abgefangen hatte. Vielleicht stand er gar nicht mit Christopher, sondern mit Coelestin in Verbindung. Auf alle Fälle war ich mir sicher, dass es kein Zufall war, und ich wusste auch schon, wer mir weiterhelfen konnte. Raffael schied aus, falls er doch etwas mit Christopher zu tun hatte.
    Sofort, nachdem Herr Müller, unser heimatkundlich bewanderter Geolehrer, die Stunde beendet hatte, stürmte ich zu ihm nach vorn.
    »Lynn, hast du noch Fragen zum Unterricht?«
    »Ähm. Nicht direkt.«
    »Dann also ein anderes Thema. Lass mich raten.

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