Schloss der Engel: Roman (German Edition)
konnte unbemerkt zu meiner Kanutour aufbrechen.
Nervös lief ich in meiner Kammer hin und her. Die Zeiger meiner Uhr schienen stehen geblieben zu sein. Meine Anspannung wurde stärker zusammen mit den Kopfschmerzen, die nach meinem Schlüsselklau aufgetaucht waren – Kopfschmerzen ausgelöst durch ein schlechtes Gewissen.
Gerade als ich meinen dicken Pullover überzog, hörte ich, wie sich jemand an meiner Tür zu schaffen machte. Ich verharrte mitten in der Bewegung und lauschte: ein Kratzen, sich entfernende Schritte und dann Stille. Da ich nicht riskieren wollte, jemandem zu begegnen, wartete ich einen Moment, bevor ich die Klinke herabdrückte. Sie klemmte! Ich versuchte es noch einmal. Sie rührte sich nicht. Und auch als ich mein Körpergewicht zu Hilfe nahm, ließ sich die Klinke nicht bewegen.
»Verdammt!«, knurrte ich leise, obwohl ich am liebsten die Tür eingetreten und Raffael den Hals umgedreht hätte. Er musste einen Stuhl unter die Türklinke geschoben haben. Oder war es jemand anderes gewesen, der die Tür verrammelt hatte?
Hatten Christopher oder Aron ihre Finger im Spiel? Christopher, der sich um mich sorgte, oder Aron, der verhindern wollte, dass ich mit Christopher glücklich wurde?
Meine Wut kehrte zurück, und ich konnte mich gerade noch beherrschen, um nicht mit meinen Fäusten gegen die Tür zu trommeln und Aron, Christopher und Raffael lauthals zu verfluchen. Ich war in meinem Zimmer eingeschlossen und würde den vielleicht wichtigsten Termin meines Lebens verpassen!
Ich war den Tränen nah. Warum war ich ins Schloss zurückgekehrt? Um die Zeit zu überbrücken, hätte ich mich auch unten am See verstecken können – anscheinend hatte ich meine Kontrahenten unterschätzt.
Oder sie mich! Ich hatte schnell eine andere Möglichkeit gefunden, wie ich mein Zimmer verlassen konnte. Es war nicht ganz ungefährlich, aber schließlich war ich geübt im Klettern. Neben meiner Vorliebe für Olivenbäume hatte uns Stefanos Vater, Bergführer im nahe gelegenen Naturschutzgebiet, regelmäßig zu Bergtouren ins Gebirge mitgenommen.
Ein Seil wäre mir jetzt von großem Nutzen, doch es würde auch so gehen. Ganz ohne Absicherung wollte ich trotzdem nicht übers Dach klettern. Also wählte ich die klassische Variante, riss mein Ersatzlaken und die Bettüberzüge entzwei und knotete sie aneinander. Danach befestigte ich meine Konstruktion am Heizkörper, der sicher in der Wand verankert war.
Bevor ich aus der Dachluke stieg, verband ich meine stabilsten Gürtel miteinander – dank der Vorliebe meiner Mutter für Lederwaren hatte ich sechs dabei – und wickelte sie mir um den Bauch.
Die Nacht war mild. Auf dem Dach strich mir eine laue Brise um die Nase. Beim Blick nach unten jedoch stockte mir der Atem: Es war steiler, als ich erwartet hatte. Ein Kribbeln überzog meine Haut, und ich spürte erneut diese dunkle Angst.
War ich bereit, den geforderten Preis zu bezahlen? War ich so weit, mein Menschenleben aufzugeben? Ich schauderte bei dem Gedanken und fühlte, wie die Angst sich in mir ausbreitete, die Furcht vor dem Tod – vor dem Ungewissen.
Würde mein unbekannter Freund mein Leben fordern? Würde er mich der Totenwächterin überlassen? Um meine Liebe zu prüfen? Ich hoffte, dass er eine andere Möglichkeit im Sinn hatte.
Mein ängstlich klopfendes Herz beruhigte sich für einen Moment, bis mein nächster Zweifel es wieder anfeuerte. Wer war es, der mich erwartete? Coelestin? Im Grunde hatte ich keinen Beweis, dass er es war. Wer dann? Aron? Die Totenwächterin?
Die Angst fraß sich weiter in mich hinein und hinderte michdaran, einen klaren Gedanken zu fassen. Geschichten von unglückseligen Mädchen erwachten in mir, denen die Sprache, das Gehör oder gar ihre Liebe selbst genommen wurde – als Gegenleistung für die Erfüllung ihrer sehnlichsten Wünsche. Keine nahm ein gutes Ende. War auch ich dazu verdammt, zu verlieren, was ich mir am sehnlichsten wünschte?
Ich ignorierte das Brennen in meinen Augen und hielt meine Tränen zurück. Was würde er fordern? Meine Liebe? Müsste ich sie zurücklassen und darauf hoffen, sie neu zu entdecken? Eine Träne rollte mir übers Gesicht. Hatte ich nicht selbst behauptet, dass nichts meine Gefühle zu Christopher zerstören konnte? Und wenn ich mich irrte?
Ich biss die Zähne zusammen und ballte meine Hände zu Fäusten. Auch wenn der Preis hoch sein würde, ich musste das Risiko eingehen. Niemand hatte gesagt, dass es einfach war, einen Engel
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