Schloss der Engel: Roman (German Edition)
machen?« Meine Gelassenheit war heute schon überstrapaziert worden. »Dann sollte ich jetzt besser gehen.«
»Nein, bitte bleib!«
Er legte eine Hand auf meinen Ellbogen, um mich zurückzuhalten. Seine unerwartete Berührung ließ die Furcht, die ich bei Christophers letzten Worten empfunden hatte, wiederaufleben. Ich entzog ihm meinen Arm. Das unergründliche Schimmern in seinen königsblauen Augen versuchte ich erst gar nicht zu entschlüsseln.
»Eigenartig, dass uns erst die Ereignisse der letzten Zeit zueinandergeführt haben.«
Sein Blick bohrte sich beunruhigend tief in meine Augen, weshalb ich schnell zur Seite starrte – auch er schien die Fähigkeit zu besitzen, in mich hineinzuschauen. Ich konzentrierte mich auf die Umrisse der Kirche. Sollte auch er Gedanken erraten können, wollte ich so wenig wie möglich davon preisgeben.
»Lass uns mit den Spielchen aufhören und zum eigentlichen Grund unseres Treffens kommen – meinem Angebot. Deshalb bist du doch hier, nicht wahr?« Er klang belustigt über meinen Versuch, ihm auszuweichen.
»Nur deshalb.« Die Kirche verschwand hinter einem Nebelschleier, während ich ihn belog.
»Dann sind wir uns also einig. Du wünschst dir einen Weg in die Engelswelt, und ich bin bereit, ihn dir zu zeigen.«
Mein Herz geriet ins Stocken – er klang aufrichtig. Vielleicht war er doch der besagte Freund, für den er sich ausgab. Zumindest hatte mich sein Schmuckstück bei der Totenwächterin beschützt.
»Wie du weißt, ist eine Bedingung daran geknüpft. Und in diesem Punkt lasse ich nicht mit mir handeln. Wenn du dich mit meiner Forderung einverstanden erklärst und der Pakt besiegelt wurde, gibt es kein Zurück mehr.«
Die Angst kehrte mit unerwarteter Heftigkeit zurück. Kalt legte sie sich über meinen Körper und ließ mich innerlich erzittern. Er wollte einen Pakt?! War mein Gegenüber ein Geschöpf der Totenwächterin? Wollte es mich zurückbringen in ihr Reich oder mich gleich an Ort und Stelle töten? Ich biss mir auf die Unterlippe, bis ich Blut schmecken konnte. Es beruhigte mich, ich lebte – noch.
Wieder glitzerte der amüsierte Funke in den Augen meines Gegenübers. Meine Unsicherheit schien ihm zu gefallen, doch ich gönnte ihm die Freude nicht.
»Wie lautet die Bedingung?«
Das Funkeln verschwand, stattdessen wanderte sein Blick suchend über mein Gesicht. »Ich zeige dir den Weg ins Reich der Engel, und du wirst im Gegenzug ein Jahr an meiner Seite verbringen.«
Ein Jahr an der Seite eines mir völlig Fremden? Ein richtig übles Gefühl breitete sich in mir aus.
»Bedenke, ich will nicht dein ganzes Leben. Nur ein einziges Jahr, und im Gegenzug schenke ich dir Unsterblichkeit. Bist du bereit, ein Jahr für die Ewigkeit zu geben?«
Die Ewigkeit! Mein Blut gefror zu Eis – er forderte meinen Tod! Meine Stimme versagte. Mit neuer Intensität spürte ich die Angst vor dem Ungewissen. Ich zögerte. Würden meine Elternsehr darunter leiden? War ich so weit, mein Dasein als Mensch aufzugeben? Meine Eltern, meine Freunde hinter mir zu lassen, für ein Leben mit Christopher?
Ich sah ihn vor mir, als Racheengel, wie er sich der Totenwächterin entgegenstellte. War er noch bei ihr? Hatte sie ihm seine Flügel genommen? Würde er ihr Reich unbeschadet verlassen?
Wie auch immer. Ich musste zu ihm. Ich brauchte ihn – und er vielleicht auch mich.
»Du kannst den Zeitpunkt selbst bestimmen – in einem gewissen Rahmen. Ich habe alle Zeit der Welt.«
Ich durfte wählen? Könnte mich noch von meinen Eltern und Freunden verabschieden?
Ein Jahr, was war das schon, wenn ich danach zu Christopher konnte? Wenn ich die Ewigkeit hatte, um ihn zu überzeugen, dass ich stark genug war, um an seiner Seite zu bestehen?
Dennoch blieb ich vorsichtig. Schließlich wusste ich nicht, was mich erwartete. Zudem war mir nicht ganz klar, welchen Vorteil mein Gegenüber sich davon versprach, außer vielleicht, dass ich für ihn schuften durfte. Und dann war da noch die Totenwächterin.
»Zu einem Jahr wäre ich unter besseren Umständen bereit, aber es gibt schon jemanden, der Anspruch auf mich erheben wird«, schränkte ich ein.
»Du meinst die Totenwächterin?«
»Ja.« Ich bemühte mich, bei ihrem Namen nicht zusammenzuzucken.
»Sei unbesorgt. Sie wird ihre Forderung zurückziehen. Und auch ich werde keine weiteren Ansprüche auf dich erheben, nachdem du dein Jahr bei mir abgeleistet hast.«
Trotz aller Euphorie weckte die Selbstgefälligkeit, mit der er mir
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