Schloss der Engel: Roman (German Edition)
diese wichtigen Details mitteilte, meinen Argwohn. Wer war er, dass er der Totenwächterin befehlen konnte?
»Woher wollen Sie wissen, dass die Totenwächterin mich in Ruhe lässt?«
»Sie wird sich meinen Wünschen fügen.«
»Warum sollte sie das?«
»Weil ich es ihr befehle.« Er hatte seine Stimme erhoben und duldete keinen weiteren Widerspruch.
Ich ignorierte seinen unausgesprochenen Wunsch. »Das reicht mir nicht.«
Zorn überzog die Miene meines Gegenübers und ließ seine Freundlichkeit für einen kurzen Moment verschwinden. »Wenn ich dir einen Beweis liefere, bist du dann bereit, mein Angebot anzunehmen?«
»Ein Jahr für die Ewigkeit?«
»Ja.«
»Wenn die Totenwächterin ihre Ansprüche fallenlässt ...« Ich ließ die Antwort offen, willigte bewusst noch nicht ein.
Ein Lächeln huschte über die Züge des Fremden, dem offensichtlich viel an meiner Zustimmung lag, bevor er leise einige unverständliche Worte vor sich hin murmelte.
»Sie hat etwas für dich, das dich überzeugen wird. Geh zu ihr.«
Meine Ohren mussten defekt sein. Er wollte, dass ich zur Totenwächterin zurückging?! Sah ich wirklich so dämlich aus?
»Am Rabenbaum«, klärte er mich auf.
Ich verstand – und versteinerte.
»Hab keine Angst. Außerhalb des Totenreichs ist ihre Macht begrenzt. Und solange ich bei dir bin, wird dir nichts geschehen.«
Da war ich mir nicht ganz so sicher wie mein Gegenüber. Warum half er mir – wenn er das wirklich tat? Gehörte er zur Seite der Engel oder zu den Satanen der Totenwächterin? Er konnte offenbar meine Gedanken erraten, doch einen Bann hatte er nicht auf mich gelegt. Was sicher einfacher gewesen wäre, um zu bekommen, was er wollte – falls er das überhaupt konnte.
Während sich mir weitere Fragen aufdrängten, veränderte sich sein Äußeres für einen kurzen Moment. Er wirkte größer, und ich entdeckte hinter ihm dunkel leuchtende Umrisse. Flügel! Meine Erleichterung war mir bestimmt anzusehen. Ich straffte die Schultern und schluckte – meine Angst und meine Zweifel.
So schnell wieder auf die Totenwächterin zu stoßen, erweckte dennoch alles andere als Freude in mir. Da war die Krähenschar, die lauernd in dem gespenstischen Baum wartete, geradezu niedlich.
Die Wächterin erschien aus dem Nebel – wie es anscheinend ihre Art war – und starrte mich zornig an.
»Du hast also eine Möglichkeit gefunden, wie du mir entkommen kannst?« Sie spie mir die Worte geradezu ins Gesicht.
Ich unterdrückte meinen dringenden Wunsch, vor ihr zu flüchten. Von ihr konnte ich erfahren, was mit Christopher passiert war.
»Habe ich das?«
»Du hast das Totenreich durchquert. Deine Seele ist frei, und wenn Sanctifer dich einfordert, habe ich kein Anrecht mehr auf dich«, knurrte sie. »Ich dachte mir schon, dass er es war, der dir das Kreuz gegeben hat. Offenbar ist sein Interesse an dir gewachsen, seitdem du dich wieder an seinesgleichen erinnern kannst.«
Mein Misstrauen war zu groß, um ihr das einfach abzukaufen – auch wenn sie mir unbewusst bestätigt hatte, dass Sanctifer ein Engel war.
»Gib mir einen Beweis für deine Aufrichtigkeit.«
Der Hass in ihren Augen verstärkte sich. »Wer hat dir verraten, dass du es zurückfordern kannst?«, kreischte sie. »Hat er es dir gesagt?« Ihr langer, dürrer Zeigefinger erhob sich und deutete auf Sanctifer, der noch immer an derselben Stelle stand. Ich schwieg, da ich nicht wusste, wovon sie sprach, wohl aber ahnte, dass es von großer Bedeutung war.
»Verflucht sei er – und du mit ihm!«, donnerte sie.
Ich widerstand meinem Instinkt, vor ihr zurückzuweichen, und blickte die Wächterin herausfordernd an. Sie änderte ihre Taktik.
»Lynn, Liebes«, begann sie, weich wie Samt. »Du darfst nicht mit ihm gehen. Vertraue ihm nicht. Ich kann dir so viel mehr bieten. Du weißt, mein Reich ist wunderschön.«
Mit Engelszungen redete sie auf mich ein. Ich glaubte ihr kein Wort. Sie erkannte ihre Machtlosigkeit und entblößte ihre vor Wut rotgeäderten Zähne. »Du wirst den Tag deiner Geburt verfluchen, wenn du ihm folgst. Nichts als Qual und Schmerz wirst du finden.«
Das Fauchen, das ihrer Prophezeiung folgte, jagte eine frostige Gänsehaut über meinen Rücken. Dennoch wich ich keinen Millimeter zurück.
»Worauf wartest du? Soll ich Sanctifer zu uns bitten?«
Die Angst auf dem Gesicht der Wächterin verdrängte die Bedrohlichkeit, die von ihr ausgegangen war. Sie fürchtete Sanctifer ebenso sehr wie Christopher. Trotzdem
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