Schloss der Engel: Roman (German Edition)
Füßen nach ihm.
»Nur zu«, feuerte er mich an – meine Gegenwehr amüsierte ihn.
Zentimeter um Zentimeter rückte der Dolch näher. Lange könnte ich seiner Kraft nicht standhalten. Er forderte mein Blut! Deutlich las ich das diabolische Verlangen in seinen Augen. Schon jetzt konnte ich dem befehlenden Blick kaum widerstehen. Ein Jahr an seiner Seite und ich wäre nicht mehr ich selbst!
Sanctifers Wesen hüllte mich ein. Ich fühlte die maßlose Grausamkeit, seine Zerstörungswut und den Hass auf alles, was aufrichtig und rein war. Seinen Hass auf meine Liebe zu Christopher und sein Ziel, sie auszulöschen.
Mein eigener Zorn erwachte und schenkte mir die nötige Stärke, um mich gegen Sanctifer zur Wehr zu setzen. Doch während meine Kraft schnell dahinschwand, schien seine unerschöpflich.
Das Klagen der Sterbenden erhob sich von neuem. Schmerzverzerrte Hilferufe legten sich wie ein zu enges Band um mein Herz. Meine Wut erlosch, als ich die Qualen am eigenen Leib zu spüren glaubte. Mit letzter Kraft entzog ich Sanctifer meinen Arm, schleuderte den Dolch von mir und sank erschöpft zu Boden.
»War das schon alles?«, fragte er enttäuscht, während ein Schwert in seinen Händen erschien.
Mit drohend erhobener Waffe stand Sanctifer über mir. Rot wie ein Rubin – wie das Blut, das es vergossen hatte – leuchtete das Heft der schwarzen Klinge. Die Schreie um mich herum verstummten. Ich schloss die Augen. Er würde mich töten.
Meine Angst kehrte zurück. Sanctifer würde Anspruch auf mich erheben. Jetzt, da die Totenwächterin zurückgetreten war, stand ihm nichts mehr im Weg. Aber warum hatte er auf einen Pakt gedrängt, wenn er nach meinem Tod meine Seele haben konnte? Mit dem Bündnis hätte er mich nur für ein Jahr in seiner Gewalt. Oder wäre ich danach freiwillig bei ihm geblieben? Mir grauste bei dem Gedanken.
Ein ohrenbetäubendes Klirren fuhr mir bis tief in die Knochen. Über meinem Kopf kreuzten sich zwei Klingen: diffus schimmerndes Schwarz, gehalten von kristallklarem Licht. Zorn, Hass und unbändige Qual spiegelten sich in Christophers Zügen, als müsste er all die Schmerzen der Sterbenden ertragen, die ich gehört hatte.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du so weit gehen würdest! Die Erinnerung an das Dahinscheiden all der vielen Engelseelen, die hier ihr Ende gefunden haben, muss unerträglich für dich sein. Sie wird dich schwächen, mein alter Freund.« Sanctifers gehässiges Lachen erfüllte die tödliche Stille. »Ist sie es wert? Ein Mensch, dessen Schicksal an einem seidenen Faden hängt?«
Sanctifers Waffe zuckte in meine Richtung. Christopher wehrte sie ab.
»Lynn, lauf! Verschwinde von diesem Ort!«
Christophers Stimme schnitt mir ins Herz. Er litt – meinetwegen! Ich rollte mich zur Seite, um Sanctifers nächstem Schlag auszuweichen, und kroch auf allen vieren weiter, aber ich war nicht fähig, Christophers Bitte nachzukommen. Meine Angst um ihn lähmte mich.
Sanctifer drosch wütend auf ihn ein – Christopher hielt dagegen, doch trotz seines machtvollen Äußeren konnte ich den Schmerz fühlen, der ihm mehr zusetzte als Sanctifers Schwert.
»Du hast dich wacker geschlagen. In all den Jahren hast du nie eine Schwäche gezeigt. Selbst den Verlust deines Freundes hast du akzeptiert. Doch nun bist du verletzbar.« Sanctifers Worte klangen wie ein Todesurteil. »Als du dich nach seinem qualvollen Sterben und deinem Versagen bei dem Mädchen in deine selbst auferlegte Verbannung zurückgezogen hast, hatte ich beinahe schon die Hoffnung aufgegeben, dass du jemals wieder ein Schwert ergreifen würdest. Anscheinend hast du deine Meinung geändert. Wer hätte gedacht, dass ein Geschöpf wie du so etwas wie Liebe empfinden könnte?«
Mein Herz stand still. Christopher war gekommen, weil er mich liebte. Doch schließlich ging auch mir ein Licht auf: Ich war seine Achillesferse, sein wunder Punkt, der ihn zu Fall bringen würde. Sanctifer hatte diesen düsteren Ort für unser Treffen gewählt, um Christopher in eine Falle zu locken. Es war ihm nie um mich gegangen. Alles, was er wollte, war Christopher!
»Warum opferst du dich für sie?«, bohrte Sanctifer weiter.
»Lass sie gehen. Sie ist unschuldig«, antwortete Christopher.
»Unschuldig?«, fragte Sanctifer verächtlich und holte aus. Ich wagte nicht zu atmen, während sein Schwert Christophers Hals entgegenstrebte.
Christopher sprang, kurz bevor es sein Ziel erreichte, entkam so dem mächtigen Hieb und landete hinter
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