Schloss der Engel: Roman (German Edition)
Furchtlos stürzte ich mich auf ihn.
Sanctifer war schneller – geübter. Mit einem gezielten Tritt brachte er mich zu Fall und entriss mir den Dolch. Ein brennender Schnitt an meiner Kehle und sein flimmerndes Gesicht war das Letzte, was ich von Sanctifer sah. Dann verschwand er im Nebel.
Ich tastete nach meinem Hals und fühlte warmes Blut. Ich würde sterben, und Sanctifer würde Anspruch auf meine Seele erheben – aber das spielte jetzt keine Rolle mehr.
Christopher! Es war meine Schuld! Meine Liebe, meine Gier hatte ihn getötet. Ich sah das Engelsgrab im See vor meinen Augen – auch Engel konnten sterben. Warum war ich so egoistisch gewesen? Niemals würde ich mir vergeben! In Sanctifers Hände zu fallen, erschien mir plötzlich eine viel zu milde Strafe. Ich schloss die Augen und bereitete mich auf mein nächstes Treffen mit ihm vor.
Sanfte Hände streichelten über meinen Hals, weiche Lippen berührten meine Stirn. Ein Glücksgefühl durchströmte mich. Noch einmal durfte ich Christophers Nähe spüren.
»Lynn, mach die Augen auf. Sieh mich an!« Christophers besorgte Stimme umschmeichelte mich. »Du wirst nicht sterben – nicht, solange ich es verhindern kann.«
Er klang fordernd – lebendig. Hatte Sanctifer ihn verschont? Ich öffnete die Augen. Christophers gigantische Engelsschwingen schimmerten durch die Nacht und warfen einen trüben Schein um ihn.
»Verlass mich nicht. Ich brauche dich«, hauchte ich.
»Ich weiß.« Seine Smaragdaugen begannen zu leuchten, bevor seine Lippen sich näherten. Vorsichtig, als fürchte er, mich zu verletzen, küsste er mein Gesicht. Mit Samthänden berührte er all die Stellen, die von Sanctifers Feuer verbrannt waren.Seine zarte Berührung linderte den Schmerz – und verursachte mir Herzrasen.
Christopher schenkte mir ein kleines Lächeln. »Mehr kann ich nicht für dich tun – sonst gerät dein Herz aus dem Takt. Eine kleine Narbe unter deinem Kinn wird alles sein, was zurückbleibt.« Christophers Stimme wurde bitter. »Aber ich werde dafür sorgen, dass er dir nicht noch einmal wehtut.«
Ein Beben lief durch meinen Körper, als mir seine Entschlossenheit bewusst wurde. Er würde bei mir bleiben – als Engel. Würde er mir erlauben, zu ihm zu kommen? Oder würde ich ihn nur in meinen Träumen wiedersehen?
Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich spürte, wie Christophers Lippen ihre Spur nachzeichneten. Niemals würde meine Liebe zu ihm erlöschen, auch wenn ich ihn nie wieder berühren konnte.
Sein Mund erreichte meine Lippen. Behutsam, als bitte er um Erlaubnis, hauchte er über sie hinweg, bevor er mich mit unendlicher Zärtlichkeit küsste. Ich schmolz dahin, in Liebe und Glückseligkeit, bis ein unbekanntes Gefühl in mir erwachte. Sein Kuss war anders – fremd – und wirbelte alles in mir durcheinander.
Tausend Empfindungen erwachten, weckten mich wie aus einem Dornröschenschlaf und entfachten einen wahren Sturm in mir. Ich wollte mehr: ihn fühlen, schmecken. Seinen Gewitterduft in mich aufnehmen. Ihn besitzen – und mich ihm schenken.
Ich vergrub meine Hände in seinen Haaren, verwehrte ihm so den Rückzug und erwiderte stürmisch seinen Kuss.
Christopher zögerte. Versuchte, mich zu besänftigen, doch ich ließ nicht locker, bis er endlich meinem Drängen nachgab und meinen Kuss voller Leidenschaft beantwortete.
Sein Verstand setzte schneller wieder ein als meiner. Sanft, aber mit Nachdruck, löste er meine Hände von seinem Nacken und zog sich zurück.
Ich fühlte mich leer, stehengelassen und suchte den Grund für seine Zurückweisung. War der Kuss ein Fehler gewesen?
Ich sah dieselbe Frage in Christophers Augen und zuckte zusammen. War unsere Liebe so falsch, dass sie uns beide quälte? Ich könnte es nicht noch einmal ertragen, ihn zu verlieren. Aber wäre ich jemals zufrieden, wenn ich ihm nur im Traum nahe sein könnte? Vielleicht wäre es möglich gewesen, doch nicht nach diesem Kuss! Ich war zu schwach, zu menschlich, um mein ganzes Erdenleben lang auf ihn zu warten, in der Hoffnung, ihn vielleicht irgendwann lieben und berühren zu dürfen.
Christophers Smaragdaugen verhärteten sich. Er wusste, was in mir vorging.
»Du musst zurück ins Schloss. Nur dort bist du im Augenblick in Sicherheit.«
»Und der Flüsterer?«
»Er wird dir nichts tun, wenn du dich nicht auf ihn einlässt. Er kann dich nur beeinflussen, indem er dich überredet, etwas zu tun, das du lieber nicht tun solltest. Flüsterer sind Menschen und
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