Schloss der Engel: Roman (German Edition)
Müdigkeit mich übermannte und ich beinahe augenblicklich einschlief.
Kapitel 2
Harfenklänge
I ch fühlte mich leicht schwummrig, als ich ein paar Stunden vor Sonnenaufgang erwachte. Doch erst nachdem ich aus der Dusche kam und vergebens nach meinem Rucksack suchte, fiel mir ein, wo ich ihn vergessen hatte.
Leise, um niemanden aufzuwecken, der mich fragen konnte, wohin ich mit nassen Haaren unterwegs war, schlich ich zu dem geheimnisvollen Raum im Keller unter dem Schloss. Mein Rucksack stand gleich neben der Tür, und da ich meine Abschiedsgeschenke auf keinen Fall in Hannahs Reichweite wissen wollte, deponierte ich das Kästchen in dem schlichtesten der alten Schränke und versteckte den Schlüssel darunter. Letztendlich wusste ich nicht, wer außer mir noch Zugang zu meinem Spind hatte. Das Schwindelgefühl stellte sich wieder ein, als ich mich aufrichtete. Vielleicht sollte ich mich lieber noch ein wenig hinlegen.
Äußerst vorsichtig lief ich die gewendelte Treppe zurück. Die Treppenstufen schienen ihre Form unter meinen Füßen zu verändern. Ich hielt schwankend inne und schloss die Augen – mein Kopf war wohl wirklich noch nicht ganz in Ordnung.
Unvermittelt stand er vor mir, der ungehobelte Typ aus dem Wald. Neben sich ein großes, blondhaariges Mädchen, das ihn fragend anschaute.
Ich keuchte vor Schreck kurz auf und klammerte mich am Treppengeländer fest – die Stufen unter meinen Füßen bebten gefährlich, was nicht nur an meiner Beule lag. Auch aus der Nähe betrachtet sah er verdammt gut aus. Die steile Faltezwischen seinen Augenbrauen, die erschien, während er mich von oben herab musterte, änderte daran nichts. Schließlich verschwand sie und wich einem halbwegs höflichen Lächeln. Anscheinend waren seine guten Manieren zurückgekehrt – na also, es ging doch!
Um einem Kreuzverhör zu entgehen, versuchte ich mich mit einem knappen »Hallo« an den beiden vorbeizudrängen, doch mit einem Schritt zur Seite blockierte Prince Charming mir den Weg.
»Du musst neu sein«, stellte er punktgenau fest. »Ich bin Christopher, einer der Tutoren hier im Schloss, aber die meisten nennen mich nur Chris.«
Ich zögerte, als er mir die Hand zur Begrüßung reichte, und blieb an seinen tiefgrünen Augen hängen – nun schien ich endgültig den Halt zu verlieren, weshalb ich anstatt seiner Hand wieder das Treppengeländer umfasste.
»Ich, ja, ich heiße Neu...«, stammelte ich, »nein, ja, ich bin neu, und ich heiße Linde. Nein, eigentlich Lynn.« Ich hoffte, dass die Treppe mich verschlingen würde – sie versagte mir diesen Wunsch.
Christopher lachte leise, aber ohne Spott und ließ seine Hand sinken.
»Dann willkommen im Schloss, Lynn. Hast du dich schon umgesehen?«
»Ja, ich meine, nein. Doch, eigentlich bin ich schon seit gestern hier.«
Was machte ich da bloß? Hatte der Schlag auf meinen Kopf mich über Nacht verblöden lassen? Wenn ich weiter so herumstammelte, würde er mich noch für schwachsinnig halten.
»Seit gestern? Sonderbar, dass mir keiner Bescheid gesagt hat.« Die Falte auf Mr Perfects Stirn vertiefte sich ein wenig. »Übrigens, das ist Susan, oder kennt ihr euch bereits?«
Offenbar war ihm gerade eingefallen, dass er mir nicht alleingegenüberstand. Das passte: die eine dumm anquatschen und die andere dabei vergessen!
»Nein, bisher habe ich noch niemanden getroffen, der freiwillig hierbleibt«, antwortete ich sarkastisch.
Ich unterdrückte den Impuls, zurückzuweichen – wahrscheinlich hätte ich die nächste Stufe verpasst und wäre die Treppe hinabgepurzelt. Wenn jemand finster dreinschauen konnte, so war es mein Gegenüber. Als Christopher meine Reaktion bemerkte, glätteten sich seine Züge, doch seine Anspannung blieb.
»Hallo Lynn!« Susan streckte mir ihre Hand entgegen.
Ich ergriff sie schnell, bevor ich auch bei ihr in Ungnade fiel.
»In welchem Zimmer bist du denn untergebracht?«
»Ganz oben.«
»Unterm Dach?«, hakte Christopher nach. Es schien ihm nicht zu passen, dass er nicht über alles informiert war – oder dass ich ihrem Händedruck nicht ausgewichen war.
»Gibt’s da ein Problem?«, fragte ich gereizt.
»Nein, aber eigentlich ist es das Zimmer von ...« Christopher brach ab. Offensichtlich hatte ich ein Talent, ihn zu verärgern. Auch wenn er bemüht war, sich nichts anmerken zu lassen, verriet ihn das Funkeln in seinen Augen.
»Oh, das kenne ich gar nicht. Kann ich’s mal sehn? Ich hab im Moment sowieso nichts anderes zu tun.«
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