Schloss der Engel: Roman (German Edition)
viel Betrieb im Foyer, und ich konnte unbemerkt hinter der Treppe verschwinden. Die vertäfelte Wandtür fand ich sofort, und als ich mit dem Rücken an die Tür gelehnt in dem dunklen Raum stand, war ich mir sicher, dass hier Stufen nach unten führten.
Zielsicher fand meine Hand den Lichtschalter und knipste die funzelige Glühbirne an. Sie erhellte das Chaos nur unzureichend, aber es genügte, um mich in einen schockartigen Zustand zu versetzen. Eimer, Lappen, Besen, Wischmopps, Putzmittel, alles, was man in einer Besenkammer vermutete, türmte sich bis zur Decke – keine Stufen, keine Treppe!
Mein Kopf dröhnte in Höchstform. Vorsichtshalber stützte ich mich an der Wand ab und schloss die Augen. Ich war mir so sicher gewesen!
Um meine tobenden Nerven zu beruhigen, atmete ich tief durch. War mein Unfall daran schuld? Versuchte ich, die fehlenden Tage durch Fantasiegespinste zu ersetzen?
Ein zweiter Blick auf den Abstellraum bestätigte, dass ich mitten in einer Besenkammer stand. Ich tickte wohl nicht mehr richtig. Hoffentlich ging das wieder vorbei.
Ich hatte die Wandtür schon einen Spalt breit geöffnet, als mein Bauchgefühl meinen Verstand besiegte. Kurze Zeit später waren sämtliche Eimer, Besen und sonstigen Teile, die den Zugang zu meiner Fantasietreppe versperrten, weggeräumt. Das Ergebnis war frustrierend. Nichts, auch nicht das kleinste Anzeichen, dass hier jemals Stufen nach unten geführt hatten. Alte dunkelbraune Holzdielen mit fleckigen Rändern waren das Einzige, was zum Vorschein kam.
Nachdem ich alles an seinen Platz zurückgeräumt hatte,fühlte ich mich ziemlich angeschlagen. Schlimm genug, dass mein Gedächtnis eine Lücke aufwies, nun konnte ich mich nicht einmal mehr auf meine Erinnerungen verlassen.
Schon bevor ich unser gemeinsames Zimmer betrat, erreichten mich Hannahs wilde Flüche. Kampfbereit ballten sich meine Hände zu Fäusten. Ich war in bester Streitlaune.
»Du Miststück! Ausgerechnet so eine Provinzassel wie dich hat man mir aufs Zimmer gesteckt!«, begrüßte sie mich.
»Bestimmt, weil ich die Einzige bin, die es nicht abgelehnt hat, mit dir ein Zimmer zu teilen.«
Das saß. Hannahs rosafarben bemalter Mund schnappte nach Luft und suchte verzweifelt nach einer Antwort. Ich drehte ihr den Rücken zu – zufrieden über ihre Sprachlosigkeit –, bevor mir selbst der Atem wegblieb. Während meiner Abwesenheit hatte Hannah ihre Kleider eingesammelt und in ihrem eigenen Schrank verstaut. Aber sie hatte sich nicht nur um ihre Klamotten gekümmert, sondern auch um meine. Hinter den offen stehenden Schranktüren starrte mir gähnende Leere entgegen.
»Was hast du mit meinen Sachen gemacht?« Obwohl mein Magen erneut begann, zu rebellieren, blieb ich ruhig – fast so, als wäre Philippe an meiner Seite.
Hannah trippelte wie ein kleines Mädchen in zu hohen Stöckelschuhen auf mich zu und kräuselte ihren Mund zu einem widerwärtigen Grinsen.
»Weißt du, erst einmal möchte ich mich bei dir bedanken, dass du deinen Fummel nicht mit meinen Kleidern zusammen aufgehängt hast«, säuselte sie honigsüß. »Wer weiß, ob sie jemals wieder tragbar gewesen wären? Übler Gestank kann oft jahrelang haften bleiben. Um mich zu revanchieren, wollte ich dir etwas Gutes tun – leider ohne großen Erfolg, fürchte ich.«
»Was hast du mit meinen Sachen gemacht?«, wiederholte ich. Äußerlich noch immer gelassen, war mein Magen inzwischen ein harter Klumpen.
»Oh, ich hab nur versucht, sie zu waschen.«
»Wo?«
»In der Dusche.«
Ich ließ Hannah, die mit ihrer gehässigen Tat offensichtlich zufrieden war, stehen und eilte zum Duschraum. Unter dem tropfenden Duschkopf türmten sich in den aufgeweichten Kartons meine völlig durchnässten Klamotten. Der Anblick meines neuen Rucksacks, der jetzt formlos in sich zusammengesunken oben auf einem der triefenden Kleiderstapel lag, trieb mir Zornestränen in die Augen. Doch wenn ich gegen Hannah bestehen wollte, durfte ich mich nicht auf ihre fiesen Spielchen einlassen. Also biss ich die Zähne zusammen, drängte meine aufsteigende Wut zurück und bemühte mich, nicht an Rache zu denken.
Nachdem ich die Kartons ins Trockene gezerrt hatte, sortierte ich die Teile in brauchbar, vielleicht brauchbar und Müll. Die ruinierten Sachen entsorgte ich, den Rest trug ich in die Waschküche, um ihn zum Trocknen aufzuhängen. Anschließend stärkte ich mich in der Kantine an dem, was meine Mitschüler übrig gelassen hatten. Nun war ich
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