Schloss der Engel: Roman (German Edition)
lassen, damit er zu meinen rotbraunen Stiefeln passte. Ich mochte ihn auf Anhieb.
Es wartete mehr als eine Überraschung auf mich.
Die erste überbrachte Frau Schlatter. Sie fing mich ab und informierte mich, dass meine Sachen aus Italien endlich angekommen waren und in meinem neuen Zimmer im Gelben Haus für mich bereitstanden.
Die zweite Überraschung war, dass Hannah – meine Mitbewohnerin – unsere gemeinsame Behausung offensichtlich für sich allein beanspruchte. Sie hatte das ganze Zimmer im Barbie-Style eingerichtet. Barbierosa Wände, ein pastellblau lackierterBeistelltisch mit zwei rosa-weißen Sitzkissen im Kuhdesign auf einem rosaroten Flokatiteppich. Autsch!
Ich beruhigte meine Sehnerven mit einem Blick auf den weißen Schrank und das mit Kartons beladene Bett in der Ecke, das wohl mir gehörte, trat ins Zimmer und schloss die Tür.
»Kannst du nicht anklopfen, bevor du in ein fremdes Zimmer stürmst?!« Erst jetzt entdeckte ich das platinblonde Mädchen, das sich auf einer – natürlich rosafarbenen – Tagesdecke die Fingernägel lackierte. »Aber was kann man von jemandem aus der italienischen Provinz schon anderes erwarten?«
Mit einem verächtlichen Zug um die Lippen stand sie auf, während sie ihre Nägel trockenblies. »Und lass bloß deine Finger von meinen Sachen! Außerdem würde ich dir raten, dich zu beeilen und aus meinem Zimmer zu verschwinden, bevor ich zurück bin.«
Mir klappte die Kinnlade runter. Ich war zu verblüfft, um eine schlagfertige Antwort zustande zu bringen, und noch bevor ich Luft holen konnte, räkelte sie sich zur Tür hinaus.
Was hatte ich ihr getan? Sie kannte mich doch gar nicht! Dass sie nicht gerade erpicht darauf war, das Zimmer mit mir zu teilen, war mir nach dem zerrupften Kissen schon klar gewesen, obwohl ich – blöd, wie ich war – gehofft hatte, dass jemand anderes die Dachkammer verwüstet hatte. Anscheinend ging der Scherz doch auf ihr Konto. Ob sie auch mein altes Handy geklaut hatte? Zutrauen würde ich es ihr – allerdings war es rot, nicht rosa!
Ich warf meinen neuen Rucksack auf den leeren Schreibtisch, atmete dreimal tief durch, bis ich ruhiger wurde, und begann die erste meiner fünf Kisten auszupacken. Doch als ich meinen Kleiderschrank öffnete, verschwand meine erzwungene Ruhe. Die Hälfte meines Schranks war mit Hannahs Klamotten gefüllt!
Mein Magen rollte sich zusammen, wie immer, wenn ich amliebsten jemanden angeschrien oder auf etwas eingehämmert hätte. Aber ich hatte gelernt, mit meiner Wut umzugehen, sonst wäre ich bestimmt noch öfter in einen Busch geschubst worden, bevor Philippe zu meinem Beschützer ernannt wurde.
Beinahe gelassen pflückte ich Hannahs teure Designerkleidung von den Bügeln und drapierte sie über ihre Barbie-Kuh-Möbel, bevor ich zufrieden mein Werk betrachtete und mich ans Auspacken machte.
Dabei erlebte ich eine weitere Überraschung – eigentlich war es eher ein ungutes Gefühl. Bei den Teilen aus den Kisten bemerkte ich noch keinen Unterschied, als ich jedoch meinen alten Reiserucksack auspackte, lief mir ein eisiger Schauer die Arme hinauf. Es waren meine Sachen, aber sie rochen nicht so, wie sie sollten. Alles gehörte mir, auch die Schuhe und Bücher, doch selbst meine Schultasche roch anders. Fremd. Ich konnte nicht einmal sagen, ob gut oder schlecht, als fehlte mir die Erinnerung an diesen Geruch. Hatte meine Amnesie auch Auswirkung auf meine Sinne?
Ich ließ mich auf mein Bett fallen und ignorierte mein wiederauftauchendes Kopfweh – es hätte mich am Nachdenken gehindert.
Hatte ich irgendetwas getan, das ich verdrängte? Weil es so übel war? Wusste Hannah mehr als ich und war deshalb so ätzend zu mir? Gut informiert war sie jedenfalls, aber auf einem Internat war das wohl zu erwarten.
Ich stand auf und ordnete meine Schulsachen auf dem Schreibtisch neu. Verdammt – ich musste mich erinnern! Also kramte ich weiter in meinem Gedächtnis: Versteckt hinter dem Pflanzkübel hatte ich den – zumindest von hinten – heißen Typen beobachtet, wie er unter der Treppe hervorkam. Ich stutzte. Unter der Treppe? Was sollte da sein?
Mein Schädel brummte, als mir endlich einfiel, dass ich irgendetwas – mich vielleicht – vor Hannah in Sicherheit bringenwollte. Und obwohl der Gedanke, hierzubleiben und Hannah die Stirn zu bieten, mich reizte, trieb es mich ins Schloss. Die Konfrontation mit Hannah konnte warten – ausbleiben würde sie auf keinen Fall.
Während des Abendessens war nicht
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