Schloss der Engel: Roman (German Edition)
hast du schon bemerkt, wie lecker er riecht? Wie eine frisch gefällte Tanne«, erklärte sie verzückt.
Ich unterdrückte ein Grinsen, als ich mir meinen neuen Mitschüler mit Christbaumkugeln, Lebkuchenherzen und Lametta geschmückt vorstellte.
Florian verarbeitete Julianes Schwärmerei weniger dezent. »Anscheinend benutzt er das richtige Deo!«
Max und ich prusteten gleichzeitig los, als er Massen unsichtbaren Parfums in die Luft sprühte und lasziv mit den Hüftenkreiste, woraufhin Juliane uns für den Rest der Schulversammlung nicht weiter beachtete.
Raffael zog auch im Unterricht die Aufmerksamkeit auf sich. Juliane und ich hatten Französisch, Geo und Informatik mit ihm. Ihr Enthusiasmus ging auch mir langsam auf die Nerven. Ständig informierte sie mich über die neuesten Ereignisse, die ich selbst vor Augen hatte: Mit wem Raffael sprach oder gesprochen hatte, wem er ein Lächeln zuwarf oder wer mit ihm gemeinsam zum Unterricht gegangen war und neben ihm saß.
»Vielleicht solltest du ihn einfach mal ansprechen«, schlug ich vor, um ihren Redefluss zu unterbrechen.
»Ich?!«
»Klar, wo ist dein Problem? Nicht jeder steht auf Hannah Platinblond.«
Am Ende der Stunde hielt ich ihre Begeisterung nicht länger aus. Ich schnappte mir Juliane und verstellte Raffael den Weg.
»Hallo«, begrüßte ich ihn. »Willkommen in Torgelow. Ich bin Lynn, und das ist meine Freundin Juliane.«
Ich schubste Juliane unauffällig in seine Richtung, doch sie brachte nur ein gestammeltes »Hi« zustande.
»Ich habe mich schon gefragt, wann ich die zwei hübschen Mädchen aus der hinteren Reihe kennenlerne«, erwiderte Raffael mit einem hörbar italienischen Akzent und ließ seine Augen über meinen enganliegenden, viel zu tief ausgeschnittenen Hannah-Pullover gleiten.
Ich verzog meinen Mund zu einem müden Lächeln – sein italienischer Charme imponierte mir nicht, dazu hatte ich zu lange in Italien gelebt –, aber Julianes Blick schien geradezu an seinen Lippen zu kleben. Das konnte ja heiter werden! Ihr hatte es doch tatsächlich die Sprache verschlagen! Also musste ich aktiv werden, um die peinliche Pause zu füllen.
»Ich kann verstehen, dass du am Anfang noch etwas schüchtern bist, da ich auch noch nicht allzu lange hier bin«, konterte ich – keine gute Eröffnung.
»Dann haben wir also etwas gemeinsam?«
»Scheint so«, antwortete ich unsicher. Seine Stimme hatte einen weichen Klang angenommen, den ich mochte, obwohl ich das eigentlich nicht wollte.
»Und sie kommt auch aus Italien – wie du«, warf Juliane verträumt dazwischen.
Ich verdrehte die Augen. Musste sie ihm auch noch das Stichwort liefern?
»Wirklich? Du sprichst akzentfrei Deutsch!«, antwortete Raffael, ohne Juliane eines Blickes zu würdigen, während seine schwarzen Augen versuchten, mich zu hypnotisieren.
»Das ist eine lange Geschichte«, wehrte ich ab.
»Nun bin ich erst recht neugierig. Lass uns zusammen mittagessen«, schlug er vor.
Gezwungenermaßen willigte ich ein. Schließlich war er neu und kannte niemanden. Außerdem wollte ich nicht unhöflich sein.
Juliane verkrümelte sich, da die Einladung eindeutig an mich gerichtet war, und ich verbrachte ungewollt die Mittagspause mit Raffael – was mir ziemlich viele giftige Blicke einbrachte. Die Tatsache, dass ich ein paar Jahre im selben Land wie er gelebt hatte, schien für ihn Grund genug zu sein, sich eingehend mit mir zu beschäftigen.
Ich beschleunigte das Ganze und schlang mein Essen hinunter, während ich erzählte, wie ich nach Italien und danach aufs Internat gekommen war. Anschließend hastete ich zu Marisa und Juliane, beschwerte mich über Raffaels Aufdringlichkeit und seine langweilige Gesellschaft – was gelogen war, denn eigentlich war er ein ganz passabler Gesprächspartner.
Juliane glaubte mir nicht.
»Warum bist du dann mit ihm essen gegangen, wenn du ihn so schrecklich findest?«
»Hallo? Du warst doch dabei! Es wär ziemlich unfreundlich gewesen, wenn ich ihn abgewimmelt hätte.«
»Bestimmt hätte er Ersatz gefunden«, erwiderte Juliane sarkastisch. »Im Übrigen fand ich es nicht gerade nett von dir, dass du mich vorgeschoben hast, um ihn anzuquatschen.«
»Wie kommst du bloß auf die Idee?« Ich brauchte eine Weile, um ihre Anschuldigung zu verarbeiten. Sie hatte zwar anquatschen gesagt, aber anmachen gemeint.
»Weil es mehr als offensichtlich ist, dass du was von ihm willst!«
Ich schaute an mir herunter. Da war was dran – auch wenn das mit
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