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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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gemein-
    schaftlich:
    Lieber Freund!
    Ich habe in diesem Jahr noch acht Tage Urlaub gut und
    würde die gern mit Dir und Deiner lieben Frau Freundin
    verleben. Wie ich höre, seid Ihr in Schweden. Lieber Freund,
    würdest Du wohl Deinen alten Kriegskameraden, der Dir
    in so manchem Granattrichter den Steigbügel gehalten hat,
    bei Euch aufnehmen? Lieber Freund, ich zahle auch das
    Reisegeld für mich allein; es ist mir sehr schmerzlich, für
    mich allein etwas bezahlen zu müssen; es ist dies sonst
    nicht meine Art, wie Du weißt. Schreibe mir bitte, wie ich
    zu Euch fahre, lieber Freund.
    Kann ich da wohnen? Wohnt Ihr? Sind da viele Mäd-
    chen? Soll ich lieber nicht kommen? Wollen wir uns gleich
    den ersten Abend besaufen? Liebst Du mich?
    Ich sende Dir beigebogen in der Falte das Bild meines
    Fräulein Tochter. Sie wird so schön wie ich.
    Lieber Freund, ich freue mich sehr, Euch zu sehen, und
    bin Euer gutes
    Karlchen
    Darunter stand, mit Rotschrift, wie ein Aktenvermerk:
    „Sofort! Noch gestern! Eilt unbeschreiblich!“
    „So“, sagte ich. „Da hätten wir ihn. Soll er kommen?“
    Braun war die Prinzessin und frisch. „Ja“, sagte sie.
    „Jetzt kann er kommen. Ich bin ausgeruht, und wenn er
    überhaupt nach acht Tagen wieder wegfährt? Abwechs-
    lung ist immer gut.“ Demgemäß schrieb ich.
    Wir waren in der Mitte der Ferien.
    Baden im See; nackt am Ufer liegen, an einer versteck-
    ten Stelle; sich voll Sonne saugen, daß man mittags herr-
    lich verdöst und trunken von Licht, Luft und Wasser nach
    Hause rollt; Stille; Essen; Trinken; Schlaf; Ruhe — Urlaub.
    Dann war es soweit. „Wollen wir ihn abholen?“ — „Ha-
    len wi em aff.“
    Es war ein strahlender Tag — ein Wetter, wie die Prin-
    zessin sagte, ein Wetter zum Eierlegen. Wir gingen auf den
    Bahnhof. So ein winziger Bahnhof war das; eigentlich war
    es nur ein kleines Haus, das aber furchtbar ernst tat und
    vor lauter Bahnhof vergessen hatte, daß es Haus war. Da
    lagen auch zwei Schienenpaare, weil die ja zu einem Bahn-
    hof gehören, und hinten kam der Waggon angeschnauft.
    Einen Zug gab es hier nicht — nur einen Motorwagen. Er
    hatte sich einen kleinen Schornstein angesteckt, damit
    man es ihm auch glaubte. Einfahrt. Gezisch. Karlchen.
    Wie immer, wenn wir uns lange nicht gesehen hatten,
    machte er eine gleichmütig-freundlich-dümmliche Miene,
    so: „Na … da bist du ja …“ Er kam auf uns zu, der Schatten
    der kommenden Begrüßung lag schon auf seinem Gesicht,
    in der Hand trug er ein kleines Köfferchen. Der Bursche
    war gut gewachsen, und sein leicht zerhacktes Gesicht sah
    „jung und alert“ aus, wie er das nannte.
    Guten Tag — und dies ist … und das ist … gebt euch mal
    die Hand … und: Wo hast du denn das große Gepäck? —
    Als die Präliminarien vorbei waren:
    „Na, Karlchen, wie war denn die Reise?“
    Er war nach Stockholm in einem Flugzeug geflattert, und
    heute mittag war er angekommen … „War es schön?“ —
    „Na …“ sagte Karlchen und fletschte nach alter Gewohnheit
    das Gebiß — „da war eine alte Dame, die hatte Luftbe-
    schwerden. Gib mir mal ’n Zigarettchen. Danke. Und da
    haben sie doch diese kleinen Tüten … Zwei Tüten hatte sie
    schon verbraucht, und dann bekam sie nicht rasch genug die
    dritte, und der Mann neben ihr muß sich nun einen neuen
    Sommerüberzieher kaufen oder den alten reinigen lassen.
    Ich saß leider nicht neben ihr. Die sonstige Aussicht war
    sehr schön. Und wie gefällt es denn der Gnädigsten hier?“
    Wenn Karlchen ‚Gnädigste‘ sagte, woran er selber nicht
    glaubte, dann machte er sich ganz steif und beugte den
    Oberkörper fein nach vorn; dazu hatte er eine bezaubernde
    Bewegung, den Unterarm mit einem Ruck zu strecken und
    ihn dann mit spitzem Ellenbogen wieder einzuziehen, wie
    wenn er nach seinen Manschetten sehen wollte …
    Wie es der Gnädigsten gefiele? „Wenn der hier nicht da-
    bei wäre,“ sagte die Gnädigste, „dann würde ich mich sehr
    gut erholen. Aber Sie kennen ihn ja — er schwabbelt so
    viel und läßt einen nicht in Ruhe …“ — „Ja, das hat er im-
    mer getan. Wie schön,“ sagte er plötzlich, „daß ich meinen
    Schirm in der Bahn habe stehn lassen.“ Und wir gingen zu-
    rück und holten ihn. In Schweden kommt nichts fort. Die
    beiden waren sich sofort und sogleich einig — merkwürdig,
    wie bei Menschen oft die ersten Minuten über ihre gesam-
    ten späteren Beziehungen entscheiden. Hier war augen-
    blicklich zu spüren,

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