Schloß Gripsholm
Masse“, sagte Frau An-
dersson; man mußte oft raten, was sie wohl meinte, denn
sie übersetzte sich wahrscheinlich alles wörtlich aus dem
Schwedischen. „In diesen Pensionat sind viele Kinder, aber
nicht viele schwedische Kinder. Es gescheht Gottlob!“ —
„Warum Gottlob, Frau Andersson?“ — „Jaha,“ sagte sie
und schlug mit der Seele einen Haken, wie ein verfolgter
Hase, „da sind nicht viele schwedischen Kinder, ne-do!“ —
„Schade“, sagte ich und kam mir mächtig diplomatisch vor.
„Da ist es gewiß hübsch …“ Frau Andersson schwieg einen
Augenblick. Dann nahm sie beherzt einen kleinen Anlauf.
Sie senkte die Stimme.
„Das ist … das ist nicht eine liebe Frau, der da ist. Aber
ich will nichts Böses sagen … verstehn Sie. Es ist eine deut-
sche Dame. Aber sie ist keine gute Dame. Das Volk von
Deutschland sind so wohnliche Menschen — nicht wahr …
Waren Sie so gut, fassen Sie mir das nicht übel!“ — „Sie
meinen die Vorsteherin von dem Pensionat?“ — „Ja“, sagte
Frau Andersson. „Die Versteherin. Die Versteherin, das ist
eine schlimme Person. Das ist … jeder fühlt sie hier. Wir
haben nicht an ihr Geschmack. Sie ist nicht gut gegen den
Kindern.“ — „So,“ sagte ich und sah auf die Bäume, die
leise mit den Blättern zitterten, wie wenn sie fröstelten,
„so — keine gute Dame? Na … was macht sie denn? Schreit
sie mit ihnen?“ — „Ich will Sie etwas sagen,“ sagte Frau
Andersson, und nun wandte sie sich zur Prinzessin, als
ob diese Sache nur unter Frauen abzuhandeln wäre; „sie
ist hart zu den Kindern. Die Versteherin … sie slagt die
Kinder.“ Der Prinzessin gab es einen Ruck. „Sagt da denn
niemand was?“ — „Jaha …“ sagte Frau Andersson. „So
schlagt sie sie nicht. Die Polizei kann darein nichts spre-
chen. Sie schlagt ihnen nicht, so zu krank zu werden. Aber
sie ist unrecht dazu, die Kinder ist sehr bange für ihr.“ Sie
deutete auf ein schloßartiges Gebäude, das hinter Marie-
fred auf einem Hügel lag. „Ich möchte lieber da sein als bei
der Kinderfrau.“ — „Was ist denn das da hinten?“ fragte
ich. „Das ist eine Irrtums-Anstalt“, sagte Frau Anders-
son. „So — und die Irren haben es besser als diese Kinder
da?“ — „Ja“, sagte Frau Andersson. „Aber da will ich sehn,
ob das Abendmahl fertig ist … einen Augenblick!“ Und sie
ging, eilfertig, wie wenn sie zu viel gesagt hätte.
Wir sahen uns an. „Komisch, wie?“ — „Ja … das gibts“,
sagte ich. „Wahrscheinlich irgend so ein Deubel von Weib,
das da mit der Zuchtrute regiert …“ — „Peter — spiel noch
ein bißchen Klavier, bis das Essen fertig ist!“
Und wir gingen ins Musikzimmer der Schloßfrau, das
hatte sie uns erlaubt, und ich setzte mich an das kleine
Klavier und ließ fromme Gesänge ertönen. Ich spielte
hauptsächlich auf den schwarzen Tasten; man kann sich
besser daran festhalten. Ich spielte:
Manchmal denke ich an dich,
das bekommt mich aber nich …
denn am nächsten Tag bin ich so müde —
und:
Wenn die Igel in der Abendstunde
still nach ihren Mäusen gehn,
hing auch ich an deinem Munde —
und dann sangen wir alte Volkslieder und dann amerika-
nische Lieder, und dann sangen wir ein Reiterlied, das wir
selber gedichtet hatten, und das ganz und gar blödsinnig
war, von der ersten bis zur letzten Zeile, und dann war das
Abendessen fertig.
Wir hatten eine Flasche Whisky aufgetrieben. Das war
nicht einfach gewesen, denn wir hatten kein ‚Motbok‘,
nicht dieses kleine Buch, das die Schweden zum Bezug von
Schnaps berechtigt. Aber die Flasche hatten wir. Und gar
so teuer war sie auch nicht gewesen. Braun und Blond …
black and white … ihr sollt leben …!
Wir saßen vor dem Haus an einem Holztischchen und
sahen zum Schloß hinüber. Ab und zu tranken wir einen
Schluck.
Zehn schlug es von dem alten Kirchturm — zehn Uhr.
Die Luft stand still; die Bäume rührten kein Blatt — alles
ruhte. Helle Nächte. Es war eine starre Ruhe, wie wenn sich
etwas staute und die Natur den Atem anhielte. Hell? Es war
nicht hell. Es war nur nicht dunkel. Die Äste drohten so
schwärzlich, sie warteten. Wie wenn man allem die Haut
abgerissen hätte: schamlos, ohne Dunkel, stand es herum,
der Schwärze beraubt. Man hätte das schwarze Kleid der
Nacht herbeizaubern und alles zudecken mögen, damit
nichts mehr sichtbar wäre. Das Schloß hatte sein brennen-
des Rot
Weitere Kostenlose Bücher