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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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Masse“, sagte Frau An-
    dersson; man mußte oft raten, was sie wohl meinte, denn
    sie übersetzte sich wahrscheinlich alles wörtlich aus dem
    Schwedischen. „In diesen Pensionat sind viele Kinder, aber
    nicht viele schwedische Kinder. Es gescheht Gottlob!“ —
    „Warum Gottlob, Frau Andersson?“ — „Jaha,“ sagte sie
    und schlug mit der Seele einen Haken, wie ein verfolgter
    Hase, „da sind nicht viele schwedischen Kinder, ne-do!“ —
    „Schade“, sagte ich und kam mir mächtig diplomatisch vor.
    „Da ist es gewiß hübsch …“ Frau Andersson schwieg einen
    Augenblick. Dann nahm sie beherzt einen kleinen Anlauf.
    Sie senkte die Stimme.
    „Das ist … das ist nicht eine liebe Frau, der da ist. Aber
    ich will nichts Böses sagen … verstehn Sie. Es ist eine deut-
    sche Dame. Aber sie ist keine gute Dame. Das Volk von
    Deutschland sind so wohnliche Menschen — nicht wahr …
    Waren Sie so gut, fassen Sie mir das nicht übel!“ — „Sie
    meinen die Vorsteherin von dem Pensionat?“ — „Ja“, sagte
    Frau Andersson. „Die Versteherin. Die Versteherin, das ist
    eine schlimme Person. Das ist … jeder fühlt sie hier. Wir
    haben nicht an ihr Geschmack. Sie ist nicht gut gegen den
    Kindern.“ — „So,“ sagte ich und sah auf die Bäume, die
    leise mit den Blättern zitterten, wie wenn sie fröstelten,
    „so — keine gute Dame? Na … was macht sie denn? Schreit
    sie mit ihnen?“ — „Ich will Sie etwas sagen,“ sagte Frau
    Andersson, und nun wandte sie sich zur Prinzessin, als
    ob diese Sache nur unter Frauen abzuhandeln wäre; „sie
    ist hart zu den Kindern. Die Versteherin … sie slagt die
    Kinder.“ Der Prinzessin gab es einen Ruck. „Sagt da denn
    niemand was?“ — „Jaha …“ sagte Frau Andersson. „So
    schlagt sie sie nicht. Die Polizei kann darein nichts spre-
    chen. Sie schlagt ihnen nicht, so zu krank zu werden. Aber
    sie ist unrecht dazu, die Kinder ist sehr bange für ihr.“ Sie
    deutete auf ein schloßartiges Gebäude, das hinter Marie-
    fred auf einem Hügel lag. „Ich möchte lieber da sein als bei
    der Kinderfrau.“ — „Was ist denn das da hinten?“ fragte
    ich. „Das ist eine Irrtums-Anstalt“, sagte Frau Anders-
    son. „So — und die Irren haben es besser als diese Kinder
    da?“ — „Ja“, sagte Frau Andersson. „Aber da will ich sehn,
    ob das Abendmahl fertig ist … einen Augenblick!“ Und sie
    ging, eilfertig, wie wenn sie zu viel gesagt hätte.
    Wir sahen uns an. „Komisch, wie?“ — „Ja … das gibts“,
    sagte ich. „Wahrscheinlich irgend so ein Deubel von Weib,
    das da mit der Zuchtrute regiert …“ — „Peter — spiel noch
    ein bißchen Klavier, bis das Essen fertig ist!“
    Und wir gingen ins Musikzimmer der Schloßfrau, das
    hatte sie uns erlaubt, und ich setzte mich an das kleine
    Klavier und ließ fromme Gesänge ertönen. Ich spielte
    hauptsächlich auf den schwarzen Tasten; man kann sich
    besser daran festhalten. Ich spielte:
    Manchmal denke ich an dich,
    das bekommt mich aber nich …
    denn am nächsten Tag bin ich so müde —
    und:
    Wenn die Igel in der Abendstunde
    still nach ihren Mäusen gehn,
    hing auch ich an deinem Munde —
    und dann sangen wir alte Volkslieder und dann amerika-
    nische Lieder, und dann sangen wir ein Reiterlied, das wir
    selber gedichtet hatten, und das ganz und gar blödsinnig
    war, von der ersten bis zur letzten Zeile, und dann war das
    Abendessen fertig.
    Wir hatten eine Flasche Whisky aufgetrieben. Das war
    nicht einfach gewesen, denn wir hatten kein ‚Motbok‘,
    nicht dieses kleine Buch, das die Schweden zum Bezug von
    Schnaps berechtigt. Aber die Flasche hatten wir. Und gar
    so teuer war sie auch nicht gewesen. Braun und Blond …
    black and white … ihr sollt leben …!
    Wir saßen vor dem Haus an einem Holztischchen und
    sahen zum Schloß hinüber. Ab und zu tranken wir einen
    Schluck.
    Zehn schlug es von dem alten Kirchturm — zehn Uhr.
    Die Luft stand still; die Bäume rührten kein Blatt — alles
    ruhte. Helle Nächte. Es war eine starre Ruhe, wie wenn sich
    etwas staute und die Natur den Atem anhielte. Hell? Es war
    nicht hell. Es war nur nicht dunkel. Die Äste drohten so
    schwärzlich, sie warteten. Wie wenn man allem die Haut
    abgerissen hätte: schamlos, ohne Dunkel, stand es herum,
    der Schwärze beraubt. Man hätte das schwarze Kleid der
    Nacht herbeizaubern und alles zudecken mögen, damit
    nichts mehr sichtbar wäre. Das Schloß hatte sein brennen-
    des Rot

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