Schloß Gripsholm
eingebüßt und sah fahlbraun aus, dann düster. Der
Himmel war grau. Es war Nacht, ohne Nacht zu sein.
„So still, wie es jetzt ist, so sollte es überall und immer
sein, Lydia — warum ist es so laut im menschlichen Le-
ben?“ — „Meinen lieben Dschung, das findest du heute
nicht mehr — ich weiß schon, was du meinst. Nein, das
ische woll ein für allemal verlöscht …“ — „Warum gibt es
das nicht“, beharrte ich. „Immer ist etwas. Immer klop-
fen sie, oder sie machen Musik, immer bellt ein Hund,
marschiert dir jemand über deiner Wohnung auf dem
Kopf herum, klappen Fenster, schrillt ein Telefon — Gott
schenke uns Ohrenlider. Wir sind unzweckmäßig einge-
richtet.“ — „Schwatz nicht“, sagte die Prinzessin. „Hör lie-
ber auf die Stille!“
Es war so still, daß man die Kohlensäure in den Gläsern
singen hörte. Bräunlich standen sie da, ganz leise setzte
sich der Alkohol ins Blut. Whisky macht sorgenfrei. Ich
kann mir schon denken, daß sich damit einer zugrunde
richtet.
Weit in der Ferne läutete eine Glocke, wie aus dem
Schlaf geschreckt, dann war alles wieder still. Weißgrau
lag unser Haus; alle Lichter waren dort erloschen. Die
Stille wölbte sich über uns wie eine unendliche Kugel.
In diesem Augenblick war jeder ganz allein, sie saß auf
ihrem Frauenstern, und ich auf einem Männerplaneten.
Nicht feindselig … aber weit, weit voneinander fort.
Mir stiegen aus dem braunen Whisky drei, vier rote Ge-
danken durchs Blut … unanständige, rohe, gemeine. Das
kam, huschte vorbei, dann war es wieder fort. Mit dem
Verstand zeichnete ich nach, was das Gefühl vorgemalt
hatte. Du altes Schwein, sagte ich zu mir. Da hast du nun
diese wundervolle Frau … du bist ein altes Schwein. Kein
Haus ohne Keller, sagte das Schwein. Mach dir doch nichts
vor! Du sollst das nicht, sagte ich zu dem Schwein. Du
hast mir schon so viel Kummer und Elend gemacht, so viel
böse Stunden … von der Angst, daß ich mir etwas geholt
hätte, ganz zu schweigen. Laß doch diese unterirdischen
Abenteuer! So schön ist das gar nicht — das bildest du
dir nur ein! Höhö, grunzte das Schwein, das ist also nicht
schön. Stell dir mal vor … Still! sagte ich, still! Ich will
nicht. Oui, oui, sagte das Schwein und wühlte schaden-
froh; stell dir vor, du hättest jetzt … Ich schlug es tot. Für
dieses Mal schlug ich es tot — sagen wir: ich schloß den Ko-
ben ab. Ich hörte es noch zornig rummeln … dann sangen
wieder die Gläser, ganz, ganz leise, wie wenn eine Mücke
summte. „Daddy,“ sagte die Prinzessin, „kann man hier
eigentlich das blaue Kostüm tragen, das ich mitgenommen
habe?“
Ich war wieder bei ihr; wir saßen wieder auf demsel-
ben Trabanten und rollten gemeinsam durch das Weltall.
„Ja …“ sagte ich. „Das kannst du.“ — „Paßt es?“ — „Na-
türlich. Es ist doch diskret und leise in der Farbe, das paßt
schön.“ — „Du sollst nicht so viel rauchen.“ sagte ihre tiefe
Stimme; „dann wird dir wieder übel, und wer hats nach-
her? Ich. Tu mal die Pfeife weg.“ Ich, Sohn, tat die Pfeife
weg, weil die Mutter es so wollte. Leise legte ich meine
Hand auf die ihre.
5
Maurer hatten das große Haus in Läggesta gebaut — wer
denn sonst. Handwerker; ruhige bedächtige Männer, die
sich erst dreimal umsahen, bevor sie eine Bewegung mach-
ten, das ist auf der ganzen Welt so. Als alles fertig war,
hatten sie die Wände mit Kalk beworfen, manche Zimmer
hatten sie gestrichen, viele tapeziert, ganz unterschiedlich
und alles nach Angabe. Dann waren sie gleichmütig weg-
gegangen, das Haus war fertig, nun konnte darin gesche-
hen, was wollte. Das war nicht mehr ihre Sache, sie waren
nur Handwerker. Die Gerichtsstube, in der einer gefoltert
wird, war, als sie geboren wurde, ein ziegelgemauertes
Viereck, glatt und geweißt, oben hatte der Maler fröhlich
pfeifend auf seiner Leiter gestanden und hatte den bestell-
ten grauen Streifen rings an die Wände gemalt; es war ein
Handwerksstück, das er da vollführte … und nun war es
auf einmal eine Gerichtsstube. So unbeteiligt bauen Men-
schen den Schauplatz zukünftiger Szenen; sie errichten die
Kulissen und das Gerüst, sie stellen das ganze Theater auf,
und dann kommen andre und spielen dort ihre traurigen
Komödien.
Das Kind lag im Bett und dachte.
Denken … Vor langen Zeiten, als es noch einen Vater
gehabt hatte, da hatte es mit ihm immer ‚Denken‘
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