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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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eingebüßt und sah fahlbraun aus, dann düster. Der
    Himmel war grau. Es war Nacht, ohne Nacht zu sein.
    „So still, wie es jetzt ist, so sollte es überall und immer
    sein, Lydia — warum ist es so laut im menschlichen Le-
    ben?“ — „Meinen lieben Dschung, das findest du heute
    nicht mehr — ich weiß schon, was du meinst. Nein, das
    ische woll ein für allemal verlöscht …“ — „Warum gibt es
    das nicht“, beharrte ich. „Immer ist etwas. Immer klop-
    fen sie, oder sie machen Musik, immer bellt ein Hund,
    marschiert dir jemand über deiner Wohnung auf dem
    Kopf herum, klappen Fenster, schrillt ein Telefon — Gott
    schenke uns Ohrenlider. Wir sind unzweckmäßig einge-
    richtet.“ — „Schwatz nicht“, sagte die Prinzessin. „Hör lie-
    ber auf die Stille!“
    Es war so still, daß man die Kohlensäure in den Gläsern
    singen hörte. Bräunlich standen sie da, ganz leise setzte
    sich der Alkohol ins Blut. Whisky macht sorgenfrei. Ich
    kann mir schon denken, daß sich damit einer zugrunde
    richtet.
    Weit in der Ferne läutete eine Glocke, wie aus dem
    Schlaf geschreckt, dann war alles wieder still. Weißgrau
    lag unser Haus; alle Lichter waren dort erloschen. Die
    Stille wölbte sich über uns wie eine unendliche Kugel.
    In diesem Augenblick war jeder ganz allein, sie saß auf
    ihrem Frauenstern, und ich auf einem Männerplaneten.
    Nicht feindselig … aber weit, weit voneinander fort.
    Mir stiegen aus dem braunen Whisky drei, vier rote Ge-
    danken durchs Blut … unanständige, rohe, gemeine. Das
    kam, huschte vorbei, dann war es wieder fort. Mit dem
    Verstand zeichnete ich nach, was das Gefühl vorgemalt
    hatte. Du altes Schwein, sagte ich zu mir. Da hast du nun
    diese wundervolle Frau … du bist ein altes Schwein. Kein
    Haus ohne Keller, sagte das Schwein. Mach dir doch nichts
    vor! Du sollst das nicht, sagte ich zu dem Schwein. Du
    hast mir schon so viel Kummer und Elend gemacht, so viel
    böse Stunden … von der Angst, daß ich mir etwas geholt
    hätte, ganz zu schweigen. Laß doch diese unterirdischen
    Abenteuer! So schön ist das gar nicht — das bildest du
    dir nur ein! Höhö, grunzte das Schwein, das ist also nicht
    schön. Stell dir mal vor … Still! sagte ich, still! Ich will
    nicht. Oui, oui, sagte das Schwein und wühlte schaden-
    froh; stell dir vor, du hättest jetzt … Ich schlug es tot. Für
    dieses Mal schlug ich es tot — sagen wir: ich schloß den Ko-
    ben ab. Ich hörte es noch zornig rummeln … dann sangen
    wieder die Gläser, ganz, ganz leise, wie wenn eine Mücke
    summte. „Daddy,“ sagte die Prinzessin, „kann man hier
    eigentlich das blaue Kostüm tragen, das ich mitgenommen
    habe?“
    Ich war wieder bei ihr; wir saßen wieder auf demsel-
    ben Trabanten und rollten gemeinsam durch das Weltall.
    „Ja …“ sagte ich. „Das kannst du.“ — „Paßt es?“ — „Na-
    türlich. Es ist doch diskret und leise in der Farbe, das paßt
    schön.“ — „Du sollst nicht so viel rauchen.“ sagte ihre tiefe
    Stimme; „dann wird dir wieder übel, und wer hats nach-
    her? Ich. Tu mal die Pfeife weg.“ Ich, Sohn, tat die Pfeife
    weg, weil die Mutter es so wollte. Leise legte ich meine
    Hand auf die ihre.
    5
    Maurer hatten das große Haus in Läggesta gebaut — wer
    denn sonst. Handwerker; ruhige bedächtige Männer, die
    sich erst dreimal umsahen, bevor sie eine Bewegung mach-
    ten, das ist auf der ganzen Welt so. Als alles fertig war,
    hatten sie die Wände mit Kalk beworfen, manche Zimmer
    hatten sie gestrichen, viele tapeziert, ganz unterschiedlich
    und alles nach Angabe. Dann waren sie gleichmütig weg-
    gegangen, das Haus war fertig, nun konnte darin gesche-
    hen, was wollte. Das war nicht mehr ihre Sache, sie waren
    nur Handwerker. Die Gerichtsstube, in der einer gefoltert
    wird, war, als sie geboren wurde, ein ziegelgemauertes
    Viereck, glatt und geweißt, oben hatte der Maler fröhlich
    pfeifend auf seiner Leiter gestanden und hatte den bestell-
    ten grauen Streifen rings an die Wände gemalt; es war ein
    Handwerksstück, das er da vollführte … und nun war es
    auf einmal eine Gerichtsstube. So unbeteiligt bauen Men-
    schen den Schauplatz zukünftiger Szenen; sie errichten die
    Kulissen und das Gerüst, sie stellen das ganze Theater auf,
    und dann kommen andre und spielen dort ihre traurigen
    Komödien.
    Das Kind lag im Bett und dachte.
    Denken … Vor langen Zeiten, als es noch einen Vater
    gehabt hatte, da hatte es mit ihm immer ‚Denken‘

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