Schloß Gripsholm
daß sich beide auf Anhieb verstanden:
das Ganze wurde nicht recht ernst genommen. Und ich
schon gar nicht.
Karlchen war noch genau so wie vor einem Jahr, wie
vor zwei Jahren, wie vor drei Jahren: so wie er immer ge-
wesen war. Er hob grade den Kopf und schnupperte leicht
mißtrauisch in der Luft umher. „Hier ist … irgendwas …
Irgendwas ist hier … wie?“ Das sagte er so hin, sprach
dabei die Konsonanten scharf aus und trübte auch wohl
manchmal das a, wie sie es im Hannöverschen zu tun pfle-
gen. Genau so waren wir damals im Krieg am Ufer der Do-
nau entlangspaziert und hatten gefunden, daß da irgend
etwas sein müsse … Es war aber nichts.
Ich hoppelte neben den beiden her, die in ein ange-
regtes Gespräch über Schweden und über die Landschaft,
über die Fliegerei und über Stockholm vertieft waren, die
Prinzessin hatten wir in die Mitte genommen, manchmal
sprachen wir über sie hinweg, und ich badete in einer tiefen
Badewanne von Freundschaft.
Sich auf jemand verlassen können! Einmal mit jemand
zusammen sein, der einen nicht mißtrauisch von der Seite
ansieht, wenn irgendein Wort fällt, das vielleicht die als
Berufsinteressen verkleidete Eitelkeit verletzen könnte, ei-
ner, der nicht jede Minute bereit ist, das Visier herunter-
zulassen und anzutreten auf Tod und Leben … ach, darauf
treten die Leute gar nicht an — sie zanken sich schon um
eine Mark fünfzig … um einen alten Hut … um Klatsch …
Zwei Männer kenne ich auf der Welt; wenn ich bei denen
nachts anklopfte und sagte: Herrschaften, so und so … ich
muß nach Amerika — was nun? Sie würden mir helfen.
Zwei — einer davon war Karlchen. Freundschaft, das ist
wie Heimat. Darüber wurde nie gesprochen, und leichte
Anwandlungen von Gefühl wurden, wenn nicht ernste
Nachtgespräche stattfanden, in einem kalten Guß bunter
Schimpfwörter erstickt. Es war sehr schön.
Wir hatten ihn im Hotel untergebracht, weil es in diesen
Tagen bei uns keinen Platz mehr gab. Er sah sein Zimmer
an, behauptete, es röche darin wie im Schlafzimmer Lud-
wigs des Anrüchigen, es wäre überhaupt „etwas dünn“ …
das sagte er von allem, und ich hatte es schon von ihm an-
genommen; dann mußte er sich waschen, und dann saßen
wir unter den Bäumen und tranken Kaffee.
„Na, Fritzchen …?“ sagte er zu mir. Niemand wird je er-
gründen können, warum er mich Fritzchen nannte. „Kann
man denn bei euch baden? Wie ist der See?“ — „Es sind
gewöhnlich sechzehn Grad Celsius oder zwanzig Remius“,
sagte ich. „Das macht die Valuta.“ Das sah er ein. „Und
was tun wir heute abend?“ — „Ja …“ sagte die Prinzessin,
„heute wollen wir einen ganz stillen Abend abziehen …“ —
„Kann man hier Rotwein bekommen?“ — Ich berichtete
die betrübliche Tatsache mit dem Rotwein und erzählte
davon, daß in der ‚Sprit-Zentrale‘ ein junger Mann Cha-
blis unter den Rotweinen gesucht habe. Karlchen schloß
wehmütig die Augen. „Aber du darfst den Wein bezah-
len, Karlchen — das ist der sogenannte Einstand, den die
Fremden hier geben.“ Das hörte er leider nicht. Ein Mäd-
chen ging vorüber — nicht einmal ein besonders hübsches.
„Na …?“ sagte Karlchen, „was …?“ Und sprach weiter, als
ob gar nichts gewesen wäre. Es war auch nichts. Aber er
mußte das sagen — sonst wäre er wohl geplatzt. Und nun
fingen wir langsam an, uns wie vernünftige Menschen zu
gebärden.
Wir waren ein ganzes Stück Zeit miteinander gefah-
ren und sprachen unter uns einen Cable-Code, der vieles
abkürzte. Die Prinzessin fand sich überraschend schnell
darein — es war ja auch nichts Geheimnisvolles, es war
eben nur die Übereinstimmung in den Grundfragen des
Daseins. Wir wußten beide, daß es ‚alles nicht so doll‘
sei … und wir hatten uns aus Skepsis, Einsicht, Unvermö-
gen und gut angelegter Kraft eine Haltung zusammenge-
kocht, die uns in vielem schweigen ließ, wo andre wild
umhersurrten. Die größten Vorzüge dieses Mannes lagen,
neben seiner Zuverlässigkeit, im Negativen: was er alles
nicht sagte, was er nicht tat, nicht anstellte … Da gab es
keine fein gebildeten Verdauungsgespräche, in denen die
Herren dem ‚Geist ihrer Zeit‘ einen scheußlichen Tribut
darbringen, ohne übrigens ihr Leben auch nur um einen
Deut zu ändern. Da wurde nicht literarische Bildung ver-
zapft, und es gab keine wiener Aphorismen über Tod, Liebe,
Leben und Musik, wie bei
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