Schloß Gripsholm
Menschen, und er hätte mal eine langjäh-
rige Freundin gehabt, die hätte ihn aber betrogen — “ Karl-
chen schüttelte bekümmert den Kopf, wie so etwas wohl
möglich wäre. „Na, und was hast du gesagt?“ — „Du alter
Affe — ich habe Nein gesagt.“ — „Ach?“ — „Ach! Hätte
ich vielleicht Ja sagen sollen?“ — „Na, wer weiß! Eine gute
Position … Hör mal, ich habe da einen Film gesehn — “ —
„Da bezieht er nämlich seine Bildung her, Karlchen. Wür-
den Sie mit Ihrem Chef was anfangen?“ — Karlchen sagte,
er würde mit seinem Chef nie etwas anfangen. „Das ist ja
alles Unsinn“, sagte die Prinzessin. „Männer verstehen das
nicht. Was hat man denn davon? Ich müßte seine Sorgen
teilen wie seine Frau, arbeiten wie seine Sekretärin, und
wenn die Börse fest ist, dann bleibt er eines Abends bei
einer andern mitten im Zimmer stehn und fragt die, ob
sie vielleicht einen Freund … Ach, geht mir doch los!“ —
„Und an mich hast du gar nicht gedacht?“ sagte ich. „Nein“,
sagte die Prinzessin. „An dich denke ich erst, wenn der
Mann in Frage kommt.“ Und dann standen wir auf und
gingen an das Seeufer.
Das Schloß schlief dick und still; überall roch es nach
Wasser und nach Holz, das lange in der Sonne gelegen
hatte, nach Fischen und nach Enten. Wir gingen am See
entlang.
Und ich genoß diese beiden; dies war ein Freund, nein,
es waren zwei Freunde — und ich verriet die Frau nicht an
den Mann, wie ich es fast immer getan hatte; denn wenn
da ein Mann war, mit dem es etwas zu erzählen gab, dann
ließ ich die Frau liegen, als ob ich nicht noch eben mit
ihr geschlafen hätte; ich gab sie auf, kümmerte mich nicht
mehr um sie und verriet sie voller Feigheit an den ersten
besten. Dann ließ sie los. Und dann wunderte ich mich.
Die zwei sprachen sich in ihren Dialekten über ihre Hei-
mat aus. Sie sagten, wo man das r aussprechen müsse und
wo nicht; sie ergänzten ihre Schimpfwörterverzeichnisse;
sie wußten beide, was das ist: niederdeutsch. Es ist jener
Weg, den die deutsche Sprache leider nicht gegangen ist,
wieviel kraftvoller ist da alles, wieviel bildhafter, einfacher,
klarer — und die schönsten Liebesgedichte, die der Deut-
sche hat, stehen auf diesen Blättern. Und die Menschen …
was es da im alten Niederdeutschland, besonders an der
Ostsee, für Häuser gegeben hat, eine Traumwelt von Ab-
sonderlichkeit, Güte und Musik, eine Käfersammlung von
Leuten, die alle nur einmal vorkommen … Vieles davon ist
nun in die Hände dummer Heimatdichter gefallen, die der
Teufel holen möge — scheinbar gutmütige Bürger, unter
deren rauchgeschwängerten Bärten der Grog dampft und
die die kraftvolle Männlichkeit ihrer alten Sprache in ei-
nen fatalen Brei von Gemütlichkeit umgelogen haben — :
Oberförster des Meeres. Manche haben sich den Bart ab-
rasieren lassen und glauben nun, wie alte Holzschnitte
auszusehen — aber es hilft ihnen nichts; kein Wald
rauscht ihnen, kein Meer rauscht ihnen, ihnen rauscht der
Bart. Ihre Gutmütigkeit verschwindet im Augenblick, wo
sie etwas verwirrt in die neue Zeit starren und auf den
politischen Gegner stoßen; dann krabbelt aus ihnen ans
Licht, was in ihnen ist: der Kleinbürger. Unter ihren Netz-
hemden schlägt ein Herz, im Parademarsch.
Das ist nicht unser Plattdeutsch, das nicht.
Niederdeutschland aber geht nicht ein — es lebt und
wird ewig leben, solange dieses Land steht. Dergleichen
hat es außerhalb Deutschlands nur noch einmal gegeben,
aber da auf dem Rücken einer dienenden, nicht gut behan-
delten Kaste: in Kurland. Doch der Niederdeutsche ist an-
ders. Seine Worte setzt er bedächtig, und sie sind gut. Und
darüber sprachen die beiden. Und ich wußte: das Beste an
der Prinzessin stammte aus diesem Boden. Und ich liebte
in ihr einen Teil dieses Landes, das einem so sehr schwer
macht, es zu lieben. Dessen ratlose Seelen es für eine Aus-
zeichnung halten, gehaßt zu werden. Da war die Zeit, da
war sie wieder. Nein, für uns gibt es wohl keine Ferien.
Die beiden aber schnackten unentwegt. Jeder pries sein
Plattdeutsch als das allein wahre und schöne, das des an-
dern wäre ganz falsch. Jetzt waren sie bei den Geschichten
angelangt.
Die Prinzessin erzählte die vom Schuster Hagen, dem
der Amtsverwalter sein Prost Neujahr zugerufen hatte: „Ick
wünsch See uck veel Glück taut niege Johr, Meisting!“ —
Und der andre hatte dann
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