Schloß Gripsholm
die
Zerfleischten. Die Grausamkeit schlug ihre Augen auf —
sie hat schon so viele Namen gehabt, in jedem Jahrhundert
einen andern. Sie atmeten hastig, der wildeste Strom war
aus ihnen heraus, nun ergoß sich der Rest in lauten, lär-
menden Gesprächen, in Zurufen und in Zeichen, die sie
über die Köpfe hinweg einander gaben, die Daumen nach
unten gesenkt; tausend Stimmen, sprechende und rufende,
ertönten, und nur hier und da stieg aus der Arena ein Schrei
auf wie ein Signalpfiff des Schmerzes. Hier floß ab, was an
verbrecherischer Lust in den Menschen war — nun wür-
den sie so bald keinen mehr ermorden; die Tiere hatten es
für sie getan. Nachher gingen sie in die Tempel, um zu
beten. Nein: um zu bitten. Unten betraten die ersten Wär-
ter den Sand und machten sich mit heißen Eisen an die
Körper, die da lagen — waren sie auch wirklich tot? Hatten
sie die Massen auch nicht um ein Quentchen Schmerz be-
trogen? In einer Ecke kämpfte einer um seine verzucken-
den Minuten, die Tiere verschwanden fauchend und aufge-
regt-satt durch die kleinen Gittertüren, der Sand wurde
gefegt, und oben, in den höchsten Rängen, verbrodelte die
letzte Lust, die das Leben am Leiden gefunden hatte. „Was
hast du?“ fragte die Prinzessin. „Nichts“, sagte ich.
„Ihr meint, wir gehn nachher noch mal an das Haus?“
fragte Karlchen zweifelnd.
„Natürlich gehn wir“, sagte die Prinzessin. „Das Kind
muß gieholfen werden — wir müssen helfen.“ Und da
stieg in mir etwas auf, es war eine so dumpfe Wut, daß ich
aufstehen und tief einatmen mußte — verwundert sahen
mich die beiden an. Plötzlich spürte ich dieselbe Lust an
der Zerstörung, am Leiden der andern; diese Frau leiden
machen zu können … O Wonne des guten und gerech-
ten Kreuzzuges, du Laxier der Unmoral! Mit einem kalten
Wasserstrahl löschte ich das aus, während ich ausatmete.
Ich kannte den Mechanismus dieser Lust: sie war doppelt
gefährlich, weil sie ethisch unterbaut war; quälen, um ein
gutes Werk zu tun … das ist ein sehr verbreitetes Ideal.
„Gehn wir?“ Wir gingen.
Als wir das Haus wiedersahen, waren wir wie auf Kom-
mando still. „Einer links, einer hinten herum“, sagte Karl-
chen. „Es muß aber einer bei der Prinzessin bleiben“, sagte
ich. „Das Weib ist imstande und haut.“ — „Dann geht ihr
da“, sagte er. „Ich will es von links versuchen.“ Wir schli-
chen näher.
Das Haus lag still, ganz still. Ob sie uns durch ein Fen-
ster beobachtete? Wenn sie nun einen Hund hatte? Im-
merhin: es war ein fremdes Grundstück; wir hatten hier
nichts zu suchen. Die Frau war im ius. Welch eine preußi-
sche Überlegung! Ein Kind litt. Los.
Still war alles. Weit sah man von hier hinaus, am Haus
vorbei, ins Land. Da lag der Mälarsee, da das Schloß Grips-
holm, rot, mit den dicken Kuppeln, und der Mischwald,
Tannen und Birken.
„Pst!“ machte die Prinzessin. Nichts. Karlchen war nicht
zu sehen. Fragend sah ich sie an. Wir gingen langsam weiter
und traten vorsichtig auf, als gingen wir auf Eis. War das ein
Gesicht hinter einem Fenster — eine kreisrunde Scheibe …?
Täuschung, es war ein Widerschein. Wir gingen nah am
Haus vorbei. Die Prinzessin blickte überall umher. Plötzlich
ging sie vorwärts — „Rasch!“ sagte sie — sie lief auf einen
weißen Fleck zu, der unweit des Hauses im Grase war …
da lag ein kleines Stück Papier. Hinten wandelte Karlchen
langsam am Zaun vorbei. Die Prinzessin bückte sich, sah
das Papier an, hob es auf und schritt rasch weiter.
Wir beeilten uns, bis wir aus der Umgatterung heraus
waren. „Na?“ sagte Karlchen.
Die Prinzessin blieb stehn und las vom Papier:
Collin Zürich Hottingerstrase 104.
Die Rückseite eines Kalenderblatts, und eine kraklige
Kinderhandschrift. ‚Strase‘ war mit einem s geschrieben.
„Dat harrn wi hinner uns!“ sagte die Prinzessin. „Auf in
den Kampf“ — pfiff Karlchen.
Zurück nach Gripsholm.
4
Wir liefen durcheinander wie die Indianer, wenn sie sich auf
den Kriegspfad begeben. Alle drei redeten mit einem Mal.
„Mal langsam — “ sagte das kluge Karlchen. „Telegrafieren …
ihr seid ja verdreht. Wir schreiben jetzt erst mal an die
Frau einen vernünftigen Brief. Und da muß drin stehn …“
Was sich nun begab … das möchte ich nicht noch ein-
mal durchmachen. Es war eine Schlacht. Es wurde nicht
ein Brief geschrieben — es wurden vierzehn Briefe geschrie-
ben, immer
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