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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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die
    Zerfleischten. Die Grausamkeit schlug ihre Augen auf —
    sie hat schon so viele Namen gehabt, in jedem Jahrhundert
    einen andern. Sie atmeten hastig, der wildeste Strom war
    aus ihnen heraus, nun ergoß sich der Rest in lauten, lär-
    menden Gesprächen, in Zurufen und in Zeichen, die sie
    über die Köpfe hinweg einander gaben, die Daumen nach
    unten gesenkt; tausend Stimmen, sprechende und rufende,
    ertönten, und nur hier und da stieg aus der Arena ein Schrei
    auf wie ein Signalpfiff des Schmerzes. Hier floß ab, was an
    verbrecherischer Lust in den Menschen war — nun wür-
    den sie so bald keinen mehr ermorden; die Tiere hatten es
    für sie getan. Nachher gingen sie in die Tempel, um zu
    beten. Nein: um zu bitten. Unten betraten die ersten Wär-
    ter den Sand und machten sich mit heißen Eisen an die
    Körper, die da lagen — waren sie auch wirklich tot? Hatten
    sie die Massen auch nicht um ein Quentchen Schmerz be-
    trogen? In einer Ecke kämpfte einer um seine verzucken-
    den Minuten, die Tiere verschwanden fauchend und aufge-
    regt-satt durch die kleinen Gittertüren, der Sand wurde
    gefegt, und oben, in den höchsten Rängen, verbrodelte die
    letzte Lust, die das Leben am Leiden gefunden hatte. „Was
    hast du?“ fragte die Prinzessin. „Nichts“, sagte ich.
    „Ihr meint, wir gehn nachher noch mal an das Haus?“
    fragte Karlchen zweifelnd.
    „Natürlich gehn wir“, sagte die Prinzessin. „Das Kind
    muß gieholfen werden — wir müssen helfen.“ Und da
    stieg in mir etwas auf, es war eine so dumpfe Wut, daß ich
    aufstehen und tief einatmen mußte — verwundert sahen
    mich die beiden an. Plötzlich spürte ich dieselbe Lust an
    der Zerstörung, am Leiden der andern; diese Frau leiden
    machen zu können … O Wonne des guten und gerech-
    ten Kreuzzuges, du Laxier der Unmoral! Mit einem kalten
    Wasserstrahl löschte ich das aus, während ich ausatmete.
    Ich kannte den Mechanismus dieser Lust: sie war doppelt
    gefährlich, weil sie ethisch unterbaut war; quälen, um ein
    gutes Werk zu tun … das ist ein sehr verbreitetes Ideal.
    „Gehn wir?“ Wir gingen.
    Als wir das Haus wiedersahen, waren wir wie auf Kom-
    mando still. „Einer links, einer hinten herum“, sagte Karl-
    chen. „Es muß aber einer bei der Prinzessin bleiben“, sagte
    ich. „Das Weib ist imstande und haut.“ — „Dann geht ihr
    da“, sagte er. „Ich will es von links versuchen.“ Wir schli-
    chen näher.
    Das Haus lag still, ganz still. Ob sie uns durch ein Fen-
    ster beobachtete? Wenn sie nun einen Hund hatte? Im-
    merhin: es war ein fremdes Grundstück; wir hatten hier
    nichts zu suchen. Die Frau war im ius. Welch eine preußi-
    sche Überlegung! Ein Kind litt. Los.
    Still war alles. Weit sah man von hier hinaus, am Haus
    vorbei, ins Land. Da lag der Mälarsee, da das Schloß Grips-
    holm, rot, mit den dicken Kuppeln, und der Mischwald,
    Tannen und Birken.
    „Pst!“ machte die Prinzessin. Nichts. Karlchen war nicht
    zu sehen. Fragend sah ich sie an. Wir gingen langsam weiter
    und traten vorsichtig auf, als gingen wir auf Eis. War das ein
    Gesicht hinter einem Fenster — eine kreisrunde Scheibe …?
    Täuschung, es war ein Widerschein. Wir gingen nah am
    Haus vorbei. Die Prinzessin blickte überall umher. Plötzlich
    ging sie vorwärts — „Rasch!“ sagte sie — sie lief auf einen
    weißen Fleck zu, der unweit des Hauses im Grase war …
    da lag ein kleines Stück Papier. Hinten wandelte Karlchen
    langsam am Zaun vorbei. Die Prinzessin bückte sich, sah
    das Papier an, hob es auf und schritt rasch weiter.
    Wir beeilten uns, bis wir aus der Umgatterung heraus
    waren. „Na?“ sagte Karlchen.
    Die Prinzessin blieb stehn und las vom Papier:
    Collin Zürich Hottingerstrase 104.
    Die Rückseite eines Kalenderblatts, und eine kraklige
    Kinderhandschrift. ‚Strase‘ war mit einem s geschrieben.
    „Dat harrn wi hinner uns!“ sagte die Prinzessin. „Auf in
    den Kampf“ — pfiff Karlchen.
    Zurück nach Gripsholm.
    4
    Wir liefen durcheinander wie die Indianer, wenn sie sich auf
    den Kriegspfad begeben. Alle drei redeten mit einem Mal.
    „Mal langsam — “ sagte das kluge Karlchen. „Telegrafieren …
    ihr seid ja verdreht. Wir schreiben jetzt erst mal an die
    Frau einen vernünftigen Brief. Und da muß drin stehn …“
    Was sich nun begab … das möchte ich nicht noch ein-
    mal durchmachen. Es war eine Schlacht. Es wurde nicht
    ein Brief geschrieben — es wurden vierzehn Briefe geschrie-
    ben, immer

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