Schloß Gripsholm
hielten es fest und sahen auf.
Im Hause hatte sich die Haupttür geöffnet, und aus ihr
trat schnell und energisch eine rothaarige Frau. Sie kam
rasch auf uns zu. „Was machen Sie da mit dem Kind?“
fragte sie, ohne Begrüßung.
Ich nahm den Hut ab. „Guten Tag!“ sagte ich höflich.
Die Frau sah mich nicht einmal an. „Was haben Sie mit
dem Kind! Was tut das Kind bei Ihnen?“ — „Es ist hier
aus dem Haus gelaufen und hat geweint“, sagte Karlchen.
„Das Kind ist ein Ausreißer und ein Tunichtgut. Es ist
heute schon einmal weggelaufen. Geben Sie das Kind her
und kümmern Sie sich nicht um Sachen, die Sie nichts
angehn!“ — „Langsam, langsam“, sagte ich. „Das Kind hat
so furchtbar geweint; es behauptet, Sie hätten es geschla-
gen.“ Die Frau sah mir fest ins Gesicht, kampfbereit. „Ich?
ich habe es nicht geschlagen. Hier werden keine Kinder
geschlagen. Ich habe die elterliche Gewalt über das Kind,
ich habe das schriftlich. Was fällt Ihnen denn ein? Bei mir
herrscht Zucht und Ordnung … hetzen Sie mir hier nicht
die Kinder auf! — Das ist mein Haus!“ schrie sie plötzlich
laut und deutete auf das Gebäude. „Das mag sein“, sagte
ich. „Aber hier stimmt doch etwas nicht — das Kind
kommt in Todesangst da herausgelaufen und …“ Die Frau
riß das Kind an der Hand und blitzte mich böse an; in ih-
ren grünen Augen stand ein Flämmchen.
„Du kommst jetzt mit“, sagte sie zum Kind. „Sofort!
Und Sie gehen! Los!“ — „Es wäre hübsch,“ sagte Karlchen
langsam, „wenn Sie etwas höflicher mit uns sprechen woll-
ten.“ — „Mit Ihnen spreche ich überhaupt nicht“, sagte die
Frau. Die Prinzessin hatte sich niedergebeugt, sie wischte
dem Kind, das bleich geworden war, die Tränen ab. „Was
tuscheln Sie da mit dem Kind?“ schrie die Frau. „Sie haben
gar nichts zu flüstern! Sie sind nicht für das Kind verant-
wortlich — ich bin es! Ich bin hier die Leiterin — ich bin
das! Ich!“ In den Augen das Flämmchen … Hitze strahlte
von der Person aus.
„Ich glaube, wir lassen die Dame —“ sagte Karlchen.
Die Frau riß abermals an dem Kind; sie riß wie an einer
Sache; ich fühlte: sie meinte nicht das Mädchen, sie meinte
ihre Herrschaft über das Mädchen. Das Kind war grün vor
Angst, sie zog es hinter sich her; niemand sprach. Jetzt
war sie am Haus. Ich machte eine halbe Bewegung, als
wollte ich etwas aufhalten … nun verschwanden die bei-
den durch die große Tür, die Tür schloß sich, ein Schlüssel
knirschte. Aus.
Da standen wir. „Ganz hübsch …“ sagte Karlchen. Die
Prinzessin steckte ihr Taschentuch fort. „Ihr seid alle beide
kolossale Esel“, sagte sie energisch. „Gut,“ sagte ich, „aber
warum?“ — „Kommt mit.“
Wir gingen ein Stück in den Wald hinein. „Ihr …“ sagte
die Prinzessin. „Krieg können wir hier nicht machen, das
sehe ich ja ein. Aber wir wollen doch dem Kind helfen,
nicht wahr? Na, und wie heißt die Mama?“ — „Collin.
Frau Collin“, sagte ich sehr stolz. „Gut — und wie willst
du helfen?“ Ja, das war richtig. Wir wußten ja die Adresse
nicht. Zürich … Zürich … was hatte das Kind da gesagt?
„Ich habe ihr leise gesagt,“ fuhr die Prinzessin fort, „wir
kämen nach einer halben Stunde an das Haus — sie soll
versuchen, uns auf einem Zettel die Adresse herauszu-
schmuggeln. Ich kann mi nich denken, daß den klappen
wird — das ahme Kind is szu un szu verängstigt. Na … wir
könn sche ma sehn … Nein, is das ein Drachen! De is aber
wedderböstig! Sie spuckt gliks Füer ut!“
„Eine famose Frau“, sagte Karlchen. „Die möchte man
heiraten. Also ich muß ja sagen … ich muß ja schon sa-
gen …“ — „Legen wir uns ein bißchen auf die Wiese“,
sagte die Prinzessin. Wir legten uns.
„Hast du das gesehn, Karlchen,“ sagte ich; „der Alten
haben sich richtig die Haare gesträubt! Ich habe so etwas
noch nie gesehn …“ — „Man kann den Hintern schmin-
ken, wie man will,“ sagte Karlchen, „es wird kein ordent-
liches Gesicht daraus. Die Frau …“ — „Still!“ sagte die
Prinzessin. Wir lauschten. Aus dem Haus, das ein Stück
zurücklag, drang eine Stimme, eine hohe, keifende Stimme.
Man konnte nicht verstehn, was da gesagt wurde — man
konnte nur hören, daß jemand erregt schrie. Mir wurde
heiß. Vielleicht schlug sie das Kind —
„Äh“, machte Karlchen. Die Wiese verschwand, wie
durch einen Nebel
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