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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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noch die Altstimme der Prinzessin:
    „Wir gehn nachher gleich an das Haus — wir müssen
    das“ … ein riesiges ovales Rund, oben, unter der steiner-
    nen Wölbung, ausgespannte rote Tücher; unten die Arena,
    dann eine hohe Steinmauer, darüber die ersten Reihen
    der Zuschauer, Ränge über Ränge, Tausende von Köpfen,
    bis sie sich oben verloren im braunen Licht. Unten, in der
    Mitte, hing einer an einem Kreuz; ein Panther sprang an
    ihm hoch und riß ein Stück Fleisch nach dem andern …
    Der Mann schrie nicht, sein Kopf lag seitlich auf der lin-
    ken Schulter, er war wohl schon bewußtlos. Staub und das
    Gedröhn der Masse … Eine kleine vergitterte Tür öffnete
    sich: ein paar Kerle mit Lederschürzen stießen zitternde
    Menschen, vier Männer und eine Frau, vor sich her in das
    große Rund. Drei von ihnen waren mit Fetzen bekleidet;
    die Frau war halbnackt, und einen hatten sie geschminkt,
    er trug, was schrecklich anzusehen war, eine Maske und
    eine Krone aus Goldschaum: ein Schauspieler seines eige-
    nen Todes. Das Gittertürchen schloß sich von innen. Die
    Kerle blieben dahinter stehen, Zuschauer ihres Berufs. An
    der Seite hatten noch ein paar Tiere im Sande gelegen, ein
    Tiger, ein Löwe. Als sie die Menschen sahen, die da her-
    eingetrieben wurden, erhoben sie sich, faul und böse. Eins
    der vier Opfer trug eine Waffe — ein gekrümmtes Schwert.
    Der Panther am Kreuz hatte von dem da oben abgelas-
    sen; er lag und kaute an einem abgerissenen Arm. Das Blut
    troff.
    Und da hatte der Löwe plötzlich zum Sprung angesetzt;
    nun war er wütend, denn heimtückisch hatte ihm jemand
    von geschütztem Platz oberhalb der Mauer ein brennendes
    Holzscheit auf den Kopf geworfen. Das Tier brüllte. Der
    Gladiator trat vor, mit einer Bewegung, die heldisch sein
    sollte und recht jämmerlich ausfiel. Eine Tuba gellte; ihr
    Klang war rot. Der Löwe sprang. Er sprang grade über den
    Gladiator hinweg, auf den Geschminkten. Er faßte ihn, die
    Maske zeigte denselben unveränderten idiotischen Aus-
    druck — dann schleifte er den Kreischenden die Arena ent-
    lang. Den Gladiator hatten zwei Tiger angefallen. Er wehrte
    sich kräftig, mit dem Mut der Verzweiflung; er schlug um
    sich, erst nach irgendeinem angelernten Plan, dann sinnlos
    und ohne Verstand. Eines der Tiere umschlich ihn, es ging
    auf leisen Pfoten zurück, dann waren beide über ihm. Wie
    ein Schlag ging es durch den Zirkus. „Rrrrhach — !“ machte
    die Menge — es war ein Stöhnen. Die Menschen waren
    von ihren Sitzen aufgesprungen, sie starrten verzückt nach
    unten, um nur ja keine Einzelheit zu verlieren, hierhin sa-
    hen sie und dorthin; wohin sie blickten: Blut, Verzweif-
    lung, Ächzen und Gebrüll — Menschen litten da, lebendes
    Fleisch zuckte, sich im Sande zu Tode zappelnd, sie oben in
    Sicherheit — es war herrlich! Der ganze Zirkus badete in
    Grausamkeit und Entzücken. Nur die untersten Reihen sa-
    ßen still und ein wenig hochmütig da, sie zeigten keinerlei
    Bewegung. Es waren die Senatoren und ihre Frauen, Ve-
    stalinnen, der Hof, höhere Heerführer und reiche Herren …
    gelassen reichten sie einander Konfekt aus kleinen Dosen,
    und einer ordnete seine Toga. Schreie feuerten die Tiere an,
    sie noch wütender zu machen; Schreie gellten auf den feigen
    Kämpfer hinunter, der sich so gar nicht zu wehren gewußt
    hatte … Ausdünstung und Geheul, das Tier Masse wälzte
    sich in einem Orgasmus von Lust. Es gebar Grausamkeit.
    Was hier vor sich ging, war ein einziger großer schamloser
    Zeugungsakt der Vernichtung. Es war die Wollust des Ne-
    gativen — das süße Abgleiten in den Tod, der andern. Dafür
    Tag um Tag Sandalen geflochten, Pergamente beschrieben,
    Mörtel geschleppt, den Adligen Besuche gemacht und die
    langen Morgen im Atrium verwartet; Tücher gewebt und
    Leinen gewaschen, Terrakotten bepinselt und stinkende Fi-
    sche verkauft … um endlich, endlich diesen großen Festtag
    zu genießen: den im Amphitheater. Alles, aber auch alles,
    was der Tag an Geducktheit, an Unterdrückung, an Wunsch-
    träumen und nicht auszuübender Wollust in diese Bürger
    und Proletarier hineingepreßt hatte: hier konnte es sich aus-
    toben. Es war wie Liebeserfüllung, nur noch ungestümer,
    noch heißer, noch zischender. Wie eine spitze Stichflamme
    stieg die Lust aus den viertausend Menschen — sie waren
    ein Leib, der sich ganz verausgabte, sie waren die Raubtiere,
    die die Menschen da unten zerfleischten, und sie waren

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