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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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nach dem Essen nicht schlafen
    wollte. „Sondern wir gehen nicht schlafen und vielmehr
    gehn wir in die Felder. Hoppla!“
    Auf und davon. Bauern kamen vorüber, wir grüßten,
    und sie sagten etwas, was wir nicht verstanden. „Bielern
    dich man blodsen nich ins Schwedsche!“ sagte die Prin-
    zessin. „Wenn man ierst die Landessprache päffekt kann,
    denn is das nich mehr so schoin. Denn den Baum des
    Wissens is nich ümme den des Lebens.“ — „Lydia,“ sagte
    ich, „wir wollen doch mal bei dem Kinderheim längsgehn!“
    Und wir gingen.
    Um den See herum, an den Chausseen entlang; einmal
    kam uns ein Auto entgegengetorkelt, man kann es nicht
    anders nennen, so sehr fuhr es im Zick-Zack. Ein junger
    Herr saß am Steuer, mit jenem dämlich-angespannten Ge-
    sicht, wie es Neulinge am Steuerrad haben. Er war ganz
    Aufmerksamkeit, Krampf und Angst. Sein Lehrer saß ne-
    ben ihm. Wir sprangen beiseite, denn der junge Herr hätte
    sicherlich lieber uns drei überfahren als eine Ameise, die
    er wohl grade sah … Dann gingen wir von der Chaussee
    ab, in den Wald.
    Die Wege in Schweden führen manchmal grade durch
    kleine Anwesen, die Zauntür ist offen, und man geht über
    den Hof hinweg. Da standen kleine Häuschen, still und
    sauber … „Guck — das wird das Kinderheim sein!“ sagte
    Karlchen.
    Auf einem kleinen Hügel lag ein langgestrecktes Haus;
    das war es sicherlich. Wir gingen langsam näher. Es war
    ganz still. Wir blieben stehn. „Müde?“ — Und wir lagerten
    uns auf dem Moos und ruhten. Lange, lange.
    Plötzlich knallte drin im Haus eine Tür — es war wie
    ein Schuß. Stille. Die Prinzessin hob den Kopf.
    „Ob wir wohl die strenge Leiterin zu sehen be…“ ich
    sprach nicht zu Ende. Eine kleine Tür an der Querseite des
    Hauses hatte sich geöffnet, und heraus stürzte ein kleines
    Mädchen. Es lief wie ein blinder Mensch, nein, wie ein
    Tier: es hatte nicht nötig, zu sehen, wohin die Füße tra-
    ten — ein Instinkt trieb es. Es lief erst ein kleines Stück
    ganz gradeaus, dann blickte es auf, und mit einer blitz-
    schnellen Bewegung schlug es einen Haken und lief uns
    grade in die Arme. „Na … na“, machte ich. Das Kind sah
    auf: wie wenn es aus einem langen Schlaf erwachte. Sein
    Mund öffnete sich, schloß sich wieder, die Lippen zitter-
    ten, es sagte nichts. Nun erkannte ich es: wir hatten es auf
    unserm Spaziergang mit den andern getroffen. „Na …?“
    sagte die Prinzessin. „Du hast es aber eilig … wo willst du
    denn hin? Spielen?“
    Da ließ das kleine Mädchen den Kopf sinken und fing
    an zu weinen … ich hatte so etwas noch niemals gehört.
    Frauen sind, wenn der Schmerz kommt, weniger lyrisch
    als wir Männer — sie helfen also besser. Die Prinzes-
    sin beugte sich hinunter. „Was … was ist denn — “ und
    wischte der Kleinen die Tränen ab. „Was hast du denn?
    Wer hat dir denn etwas getan?“ Das Kind schluchzte.
    „Ich … sie … ich bin schon mal weggelaufen, heute … die
    Frau Direktor … Lisa Wedigen hat gestohlen, sie will mich
    hauen, sie will uns alle hauen, ich bekomme heute nichts
    zu essen — ich will zu Mutti! Ich will zu Mutti!“ — „Wo
    ist denn deine Mutti?“ fragte die Prinzessin. Die Kleine
    antwortete nicht; sie starrte ängstlich auf das Haus und
    machte eine Bewegung, als wollte sie fortlaufen. „Nun bleib
    mal da — wie heißt du denn?“ — „Ich heiße Ada“, sagte
    die Kleine. „Und wie noch?“ — „Ada Collin.“ — „Und wo
    ist deine Mutti?“ — „Mutti …“ sagte das Kind, und dann
    etwas, was man nicht verstand. „Wohnt deine Mutti sonst
    auch hier?“ Das Kind schüttelte den Kopf. „Wo denn?“ —
    „In der Schweiz. In Zürich …“ — „Na und?“ fragte ich. So
    dumm können nur Männer fragen. Das Kind sah nicht
    hoch; es hatte die Frage gar nicht begriffen. Wir standen
    herum, etwas ratlos. „Warum bist du denn weggelaufen —
    nun erzähl das mal ganz richtig. Erzähl mal alles — “ fing
    die Prinzessin wieder an.
    „Die Frau Adriani haut uns … sie hat uns heute kein
    Essen gegeben … ich will zu Mutti … ich will zu Mutti …!“
    Karlchen dachte wie stets scharf und schnell. „Laß uns doch
    mal aufschreiben, wo die Mutter wohnt“, sagte er. „Sag,“
    fragte die Prinzessin, „wo wohnt denn deine Mutti?“ — Das
    Kind schluckste. „In Zürich.“ — „Na ja, aber wo da …?“ —
    „Hott … Hott … Sie kommt, sie kommt!“ schrie das Kind
    und riß sich los. Wir

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