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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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sprachen nicht, wir ver-
    abschiedeten uns nicht, das hatte sie ja schon besorgt, wir
    gingen stumm hinaus. Drohen? Wer droht, ist schwach.
    Wir hatten noch nicht mit Zürich telefoniert.
    Als die Frau sah, daß wir schon an der Haustür stan-
    den, verfiel sie in hemmungsloses Gebrüll; man hörte eilige
    Schritte auf dem Steinfußboden unten im Keller, also lie-
    fen dort die Hausmädchen zusammen und horchten. „Ich
    verbitte … ich verbitte mir ein für allemal Ihre Besuche!
    Scheren Sie sich raus! Und kommen Sie ja nicht wieder!
    Wer sind Sie überhaupt … zwei verschiedene Namen! —
    Heiraten Sie lieber!“ schrie sie ganz laut. Und dann waren
    wir draußen. Die Tür schloß sich mit einem Knall. Bumm.
    Da standen wir.
    „Hm —“ machte ich. „Das war ein großer Sieg.“
    „Na, Daddy, da ist nichts zu machen. Das ist ja eine
    Megäre — was haben wir nun?“ — „Jetzt haben wir ein
    bleiches Nein erhalten, wie wir Schweden sagen. Also wer-
    den wir telefonieren.“ — „Sowie wir nach Hause kommen.
    Aber wenn du das der Frau Collin nicht richtig sagst, was
    hier los ist … wie der kleine Gegenstand ausgesehen hat!
    So vermiekert … und verprügelt! Sei schümpt un schümpt
    ümmerlos … De is aber steelhaarig! Gotts Blix, die müßt
    man ja in Öl kochen — !“ Das fand ich zu teuer.
    Wir gingen auf das Wäldchen zu, in dem Billie sein
    mußte. Und schimpften furchtbar auf die Frau Adriani.
    Und suchten Billie. „Billie! Billie!“ Kein nichts und kein
    gar nichts. „Ob dieses rothaarige Luder glücklich ist?“ —
    „Daddy, du stellst manchmal komische Fragen! Ob sie
    glücklich ist …! Das Kind ist unglücklich! Donnerhagel —
    was machen wir denn da? Wir müssen dem Kind helfen!
    Das kann man ja nicht mitansehn! Und nicht mitanfüh-
    len! Herrgott von Bentheim! Billie!“
    Wir stolperten beinah über sie.
    Sie lag hinter einer kleinen moosigen Erhöhung, in ei-
    ner Erdfalte; auf dem Bauch lag sie, die langen Beine nach
    oben gestreckt, sie las und schlug von Zeit zu Zeit ihre
    Füße zusammen. „Ja? Na, was habt ihr … was war?“ Wir
    erzählten, beide zu gleicher Zeit, und nun war aus Frau
    Adriani bereits ein feuerspeiender Berg geworden, eine
    ganze Hölle von kleinen und großen Teufeln, die Vorstehe-
    rin einer Affentanz-Schule und ein Scheusal schlechthin.
    Nun, die Frau war ja wirklich eine starke Nummer.
    Ich sah auf die beiden, während sie sich besprachen.
    Wie verschieden sie doch waren! Die Prinzessin Feuer und
    Flamme; das Kinderleid hatte sie aufgebracht, ihr Herz
    sprühte. Billie bedauerte das Kind, aber es war, wie wenn
    ein Fremder in der Untergrundbahn „Verzeihung!“ sagte …
    sie bedauerte es artig und wohlerzogen und ganz unbetei-
    ligt. Vielleicht, weil sie das alles nicht so miterlebt hatte …
    Die Gleichgültigkeit so vieler Menschen beruht auf ihrem
    Mangel an Phantasie.
    „Wir wollen noch ein wenig spazieras“, sagte die Prin-
    zessin. „Wohin?“ — „Kommt ihr mit …? Ich möchte mir
    mal das Grab ansehen. So ein Scheusal …“ Das Gewitter
    gegen die Rothaarige vergrollte langsam. Wir gingen und
    machten einen weiten Umweg um das Kinderheim. „Gleich,
    wenn wir nach Hause kommen — aber gleich,“ sagte die
    Prinzessin, „melden wir Zürich an. Wir müssen un müs-
    sen dem Kind da rauskriegen! Die Frau Adriani entbehrt
    nicht einer gewissen Charmanz!“
    Billie pfiff leise vor sich hin. Ich starrte in eine dunkle
    Baumgruppe und las aus den Blättern ab: ich hatte Billie
    haben wollen, ich fühlte, daß ich sie nicht bekommen
    würde, und jetzt hatte ich einen sittlichen Grund, sie nied-
    riger zu stellen als Lydia. Billie hatte kein Herz. Hast du ihr
    Herz geliebt, du Lügner? Sie hat so lange Beine … Ja, aber
    sie hat ja kein Herz.
    Wir gingen langsam durch den Wald, die beiden unter-
    hielten sich — nun ruddelten sie. ‚Ruddeln‘, das ist so ein
    Wort für: klatschen, über jemand herziehen. Man konnte
    gar nicht folgen, so schnell ging es. Hopphopphopp …
    schade, daß man nicht dabeisein kann, wenn die andern
    über uns sprechen — man bekäme dann einigermaßen
    die richtige Meinung von sich. Denn niemand glaubt, daß
    es möglich sei, so unfeierlich, so schnell, so gleichgültig-
    nichtachtend Etiketten auf Menschenflaschen zu kleben,
    wie es doch überall geschieht. Auf die andern vielleicht —
    aber auf uns selber?
    Billie: „… hat er ihr versprochen, und wie es soweit
    war, nichts.“ — „Ihre Dummheit“,

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