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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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etwas
    erschreckt, das in seinem Gehirn vor sich gegangen war —
    wir hatten uns nicht geregt. „Was mag das für einer gewe-
    sen sein?“ fragte Billie. „Das war ein Amselbulle“, sagte
    die Prinzessin. „Ah — dumm — das war doch keine Am-
    sel …“ sagte Billie. „Ich will euch was sagen,“ sprach ich
    gelehrt, „bei solchen Antworten kommt es gar nicht darauf
    an, obs auch stimmt. Nur stramm antworten! Jakopp hat
    mal erzählt, wenn sie mit ihrem Korps einen Ausflug ge-
    macht haben, dann war da immer einer, das war der Aus-
    kunftshirsch. Der mußte es alles wissen. Und wenn er ge-
    fragt wurde: Was ist das für ein Gebäude? — dann sagte er
    a tempo: Das ist die Niedersächsische Kreis-Sparkasse! Er
    hatte keinen Schimmer, aber alle Welt war beruhigt: eine
    Lücke war ausgefüllt. So ist das.“ Die Mädchen lächelten
    höflich, ich war auf einmal allein mit meinem Spaß. Nur
    ein Sekündlein, dann war es vorbei. Sie standen auf.
    „Wir wollen noch laufen“, sagte Billie. „Einmal rund um
    die Wiese! Eins, zwei, drei — los!“ Wir liefen. Billie führte;
    sie lief regelmäßig, gut geschult, der Körper funktionierte
    wie eine kleine exakte Maschine … es war eine Freude, mit
    ihr zu laufen. Hinter mir die Prinzessin japste zuweilen.
    „Ruhig laufen!“ sagte ich vor mich hin, „du mußt durch die
    Nase atmen — mit dem ganzen Fuß auftreten — nicht zu
    sehr federn!“ und dann liefen wir weiter. Mit einem langen
    Atemzug blieb Billie stehn; wir waren beinah einmal um
    die große Wiese herumgekommen. „Uffla!“ — Wir waren
    ganz warm. „Ins Schloß unter die Brause!“ Wir nahmen
    unsre Bademäntel und gingen langsam über die Wiese; ich
    trug meine Turnschuhe in der Hand, und das Gras kitzelte
    meine Füße. Das ist schön, mit den Mädchen zusammen-
    zusein, ohne Spannung. Ohne Spannung?
    2
    „Was nehmen wir denn dem Kind nun mit?“
    „Bonbons“, schlug Billie vor. „Nein,“ sagte ich, „das wird
    ihr die Alte verbieten — oder sie muß sie an die ganze Be-
    legschaft austeilen.“ — „Wir gehn Knöpfchen kaufen“, sagte
    die Prinzessin. „Ich werde schon was finden. Kommt — ach
    was, Hut. Aber Billie!“ Wir gingen.
    Frau Collin hatte geschrieben. Sie wäre uns sehr dank-
    bar, und wir möchten zu der Frau Adriani hingehn und
    mit ihr sprechen, und dann sollten wir sie anrufen. Die
    Auslagen würde sie gern …
    „Nicht huddan! Ladi!“ rief die Prinzessin. Billie sah sie
    entgeistert an, und ich mußte ihr erklären, daß das ‚rechts‘
    und ‚links‘ bedeute — so trieb man in manchen plattdeut-
    schen Ecken die Esel an. Gott weiß, woher diese alten Rufe
    stammen mochten.
    Ja, das Kind, der ‚kleine Gegenstand …‘ Ich dachte mit
    Kraft daran, daß es geplagt und geschlagen würde, denn
    hier stand nun etwas bevor … Als Junge hatte ich immer
    an Portal-Angst gelitten, an jener rasenden Furcht, in ein
    fremdes, in ein ganz fremdes Haus hineinzugehn — ge-
    duckt ging ich dann schließlich und fiel natürlich auf die
    moralische Nase. Tiere wittern Furcht. Menschen wittern
    Furcht. Seitdem ich aber gelernt habe, daß sie alle ster-
    ben müssen, geht es schon besser. Zwanzig Jahre hat das
    gedauert. Der Plattdeutsche drückt die Sache kürzer und
    unpathetischer aus: „Wat is he denn? Sin Mors hat man
    ook bloß twee Hälften!“ Ja, das ist wahr.
    Und nun sollte ich da als fremder Mann zu einer bösen,
    fremden Frau gehn — ich spielte einen Augenblick alle
    Phasen: Hänsel bei der Knusperhexe, dann: ich geniere
    mich doch aber so … und dann war es vorbei. Es ging
    viel schneller vor sich, als man es schreiben kann. Vor-
    bei. „Man muß“, hat ein kluger Inder gesagt, „den Tiger
    vor der Jagd in Gedanken töten — der Rest ist dann nur
    noch eine Formalität. Die Frau Adriani …? Ich dachte an
    meinen Feldwebel, an das geprügelte, weinende Kind … in
    Ordnung.“
    „Sei still!“ rief die Prinzessin in ein Fenster hinein, an
    dem ein Papagei in seinem Käfig krächzte, „sei still! Sonst
    wirst du ausgestopft!“ Das Tier mußte wohl deutsch ver-
    stehn — denn nun schwieg es. Billie lachte. „Ihr wolltet
    doch noch englische Sauce kaufen“, sagte sie in einer jener
    Ideenverbindungen, derer nur Frauen fähig sind. „Tun wir
    auch — komm, wir gehen in die Fruktaffär, die haben al-
    les.“ Die Schweden schreiben manche Fremdwörter pho-
    netisch, das macht viel Spaß. Wir kauften also englische
    Sauce, die Prinzessin beroch

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