Schloß Gripsholm
sagte Lydia. „Bei Emp-
fang: die Ware — das Geld, wie mein Papa immer sagt.
Vertrauen! Vertrauen! Es gibt doch nur eine Sicherheit:
Fußangeln. Wie?“ Merkwürdig, woher sie das hatte. So
schlechte Erfahrungen hatte sie doch gar nicht hinter
sich …
Billie ging wie eine Tanzende: es federte alles an ihr. Sie
trug eigentümliche Kleiderstoffe — ich wußte nicht, wie
das hieß; es war buntes und grob gewebtes Zeug, heute
zum Beispiel sah sie aus wie eine Indianerin, die sich aus
ihrem Hochzeitszelt einen Rock geschneidert hatte … und
so viele Armbänder! Gleich, dachte ich, wird sie die Arme
in die Luft werfen, die schöne Wilde, und mit einem Lie-
besruf in den Wald stürzen, zu den andern … Schade, daß
sie kein Herz hat.
„Seht ihr, da hinten liegt der Friedhof! Doch, wir schaf-
fen das noch bis zum Abendbrot — also!“ Wir gingen ra-
scher. Ein leichter Wind hatte sich erhoben, dann wurden
die Windstöße stärker, ein hauchzarter Regen fiel. Manch-
mal trug der Wind etwas wie Meeresatem herüber, von der
See, von der Ostsee.
Nun waren wir angelangt, da war eine kleine Holztür,
und über die niedrige Steinmauer ragten alte Bäume.
Es war ein alter Friedhof; man sah das an den verwit-
terten, ein wenig zerfallenen Gräbern auf der einen Seite.
Auf der andern standen die Gräber hübsch ordentlich in
Reih und Glied … gut gepflegt. Es war ganz still; wir wa-
ren die einzigen, die die Toten heute nachmittag besuch-
ten — die wen besuchten? Man besucht ja nur sich selber,
wenn man zu den Toten geht.
„Welche Reihe …? Warte mal, das hat sie hier im Brief
aufgeschrieben. Achtzehnte … nein, vierzehnte … eins,
zwei … vier, fünf …“ Wir suchten. „Hier“, sagte Billie.
Da war das Grab. So ein kleines Grab.
WILHELM COLLIN
GEBOREN … GESTORBEN …
und ein paar windverwehte Blumen. Wir standen. Nie-
mand sprach. Ob das nun der Auftritt von vorhin war oder
die Tatsache, daß es so ein winzig kleines Grab war, dieser
Gegensatz zwischen der Inschrift Wilhelm Collin und dem
Hügelchen — das war doch in Wahrheit noch gar kein Wil-
helm gewesen, sondern ein wehrloses Bündelchen Fleisch,
das man hätte beschützen sollen … Eine Träne fing ich
nicht mehr, sie rollte. „Heul nicht,“ sagte die Prinzessin,
die zwinkerte, „heul nicht! Die Sache ist viel zu ernst zum
Weinen!“ Ich schämte mich vor Billie, die uns mitleidsvoll
ansah. Ihre Augen blickten warm. Sie sagte leise etwas zur
Prinzessin, und als nun beide zu mir herübersahen, fühlte
ich, daß es etwas Freundliches gewesen sein mußte. Ich
vergaß, daß ich Billie begehrt hatte, und flüchtete zu der
Prinzessin.
In Gripsholm meldeten wir Zürich an.
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„Da liegt sozusagen die Sittlichkeit mit der Moral im
Streite“, sagte die Prinzessin, und wir lachten noch, als
wir uns an den großen Tisch in unserm Zimmer setzten.
Die Schloßfrau hatte Billie auseinandergesetzt, es wäre gar
nicht wahr, daß „alle Schweden immer nackt badeten“, wie
man so oft sagen hörte. Gewiß, manchmal, in den Klippen,
wenn sie unter sich wären … aber im übrigen wären es
Leute wie alle andern auch, wenig wild nach irgendeiner
Richtung, es sei denn, daß sie gern Geld ausgäben, wenn
einer zusähe.
Draußen fiel der Regen in perlenden Schnüren.
„Das ist aber ein fröhlicher Regen“, sagte Billie. Das
war er auch. Er rauschte kräftig, oben am Himmel zogen
schwarz-braune Wolken rasch dahin, vielleicht waren nur
wir es, die so fröhlich waren, trotz alledem. Das war schön,
hier in der trockenen Stube zu sitzen und zu sprechen.
Was hatte Billie für ein Parfum? „Billie, was haben Sie für
ein Parfum?“ Die Prinzessin schnupperte. „Sie hat sich et-
was zusammengegossen“, sagte sie. Billie wurde eine Spur
rot — schien mir das nur so? „Ja, ich habe gepanscht. Ich
mache mir da immer so etwas zurecht …“ aber sie sagte
die Namen nicht.
„Billie, hilf mir mal — kannst du das? Guck mal!“ Die
Prinzessin löste seit gestern an einem schweren Silben-
rätsel herum. „Ich habe hier: Hochland in Asien … doch,
das habe ich. Aber hier: Orientalischer Männername …
Wendriner? Nein, das kann ja wohl nicht stimmen — Kat-
zenellenbogen …? Auch nicht … Fritzchen! Sag du!“ —
„Wie heißt er denn nun eigentlich?“ fragte Billie entrüstet.
„Mal sagst du Peter zu ihm und mal Daddy und jetzt wieder
Fritzchen …!“ — „Er heißt Ku-ert …“ sagte
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