Schloß Gripsholm
Das Stück war aus.
Langsam gingen wir aus dem Hause, in dem das Kind
so viel gelitten hatte.
Keiner von uns sah mehr zurück. Die Haustür wurde
geschlossen.
2
Der letzte Urlaubstag …
Ich bin schon für die Reise angezogen, zwischen mir
und dem Mälarsee ist eine leise Fremdheit, wir sagen wie-
der Sie zueinander.
Die langen Stunden, in denen nichts geschah; nur der
Wind fächelte über meinen Körper — die Sonne beschien
mich … Die langen Stunden, in denen der verschleierte
Blick ins Wasser sah, die Blätter zischelten und der See
plitschte ans Ufer; leere Stunden, in denen sich Energie,
Verstand, Kraft und Gesundheit aus dem Reservoir des
Nichts, aus jenem geheimnisvollen Lager ergänzten, das
eines Tages leer sein wird. „Ja,“ wird dann der Lagermei-
ster sagen, „nun haben wir gar nichts mehr …“ Und dann
werde ich mich wohl hinlegen müssen.
Da steht Gripsholm. Warum bleiben wir eigentlich
nicht immer hier? Man könnte sich zum Beispiel für lange
Zeit hier einmieten, einen Vertrag mit der Schloßdame ma-
chen, das wäre bestimmt gar nicht so teuer, und dann für
immer: blaue Luft, graue Luft, Sonne, Meeresatem, Fische
und Grog — ewiger, ewiger Urlaub.
Nein, damit ist es nichts. Wenn man umzieht, ziehen
die Sorgen nach. Ist man vier Wochen da, lacht man über
alles — auch über die kleinen Unannehmlichkeiten. Sie
gehen dich so schön nichts an. Ist man aber für immer da,
dann muß man teilnehmen. „Schön habt ihr es hier“, sagte
einst Karl der Fünfte zu einem Prior, dessen Kloster er be-
suchte. „Transeuntibus!“ erwiderte der Prior. „Schön? Ja,
für die Vorübergehenden.“
Letzter Tag. So erfrischend ist das Bad in allen den Wo-
chen nicht gewesen. So lau hat der Wind nie geweht. So
hell hat die Sonne nie geschienen. Nicht wie an diesem
letzten Tag. Letzter Tag des Urlaubs — letzter Tag in der
Sommerfrische! Letzter Schluck vom roten Wein, letzter
Tag der Liebe! Noch einen Tag, noch einen Schluck, noch
eine Stunde! Noch eine halbe …! Wenn es am besten
schmeckt, soll man aufhören. „Heute ist heute“, sagte die
Prinzessin — denn nun stand alles zur Abfahrt bereit: Kof-
fer, Handtaschen, der Dackel, der kleine Gegenstand und
wir. „Du siehst aus!“ sagte Lydia, während wir gingen, um
uns von der Schloßfrau zu verabschieden, „du hast dir je
woll mitn Reibeisen rasiert! Keinen Momang kann man
den Jung allein lassen!“ Ich rieb verschämt mein Kinn, zog
den Spiegel und steckte ihn schnell wieder weg.
Großes Palaver mit der Schloßfrau. „Tack … danke …“
und: „Herzlichen Dank! … Tack so mycket …“ und „Alles
Gute!“ — es war ein bewegtes und freundliches Hin und
Her. Und dann nahmen wir Ada an die Hand, jeder griff
nach einer Tasche, da stand der kleine Motorwagen …
Ab.
„Urlaub jok“, sagte ich. Jok ist türkisch und heißt: weg.
„Du merkst auch alles“, sagte die Prinzessin und kämmte
das Kind. „Lydia, ich hätte nie geglaubt, daß du so eine
nette Kindermama abgeben kannst! Sieh mal an — was
alles in dir steckt!“ — „Ich bin Sie nämlich eine Zwiebel!“
sagte die Prinzessin und enthüllte damit, vielleicht ohne es
zu wissen, das Wesen aller ihrer Geschlechtsgenossinnen.
Und dann fing das Kind langsam, ganz langsam und
stockend, an, zu erzählen — wir drängten es nicht, erst
wollte es überhaupt nicht sprechen, dann aber sprach es
sich frei, man merkte, es wollte erzählen, es wollte alles
sagen, und es sagte alles:
Den Krach mit Lisa Wedigen und das Blatt vom Kalen-
der; die dauernden Strafen und die Glockenblumen unter
dem Kopfkissen und sein Spitzname ‚Das Kind ‘; der kleine
Will und Mutti und was der Teufelsbraten sich alles ausge-
dacht hatte, um die Mädchen zu tyrannisieren, und Hanne
und Gertie und das Essen im Schrank und alles.
Es ging ein bißchen durcheinander, aber man verstand
doch, worauf es ankam. Und ich nannte den kleinen Ge-
genstand nunmehr Ada Durcheinander, und die Prinzessin
bemutterte und bevaterte das Kind zu gleicher Zeit, und
ich schlug vor, sie solle dem Kind die Brust geben, und
dann brach ein wilder Streit darüber aus, welche: die linke
oder die rechte. Und so kamen wir nach Stockholm.
Und fuhren zurück nach Deutschland.
Berlin streckte die Riesenarme und langte über die
See … „Wir müssen der Frau Kremser telegrafieren,“ sagte
die Prinzessin, „sicher ist sicher. Junge, haben wir uns gut
erholt! Was
Weitere Kostenlose Bücher