Schloß Gripsholm
nichts: wir müssen das Kind mit-
nehmen, sonst bekommen wir nicht alles!“ — „Hm.“ —
„Und wenn wir es hier in Gripsholm lassen, dann ist die
Alte imstande und nimmt es von hier fort, und das ganze
Theater fängt von vorn an. Erklär das mal dem kleinen Ge-
genstand!“ Das dauerte zehn lange Minuten; ich hörte die
Kleine nebenan weinen und immer wieder weinen, dann
wurde sie ruhiger, und als nun auch die Schloßfrau auf sie
einsprach, wurde sie still. „Nehmen Sie mich auch gewiß …
nehmen Sie mich auch ganz gewiß wieder mit?“ fragte sie
immer wieder. Wir redeten ihr gut zu. „Sie weinete, Er
tröstete den Trost aus voller Brust — “ sagte die Prinzessin
leise. Und dann gingen wir.
Wir sprachen, damit das Kind uns nicht verstände,
französisch. „Du springst ihr doch hoffentlich gleich mit
dem Brief und mit dem Scheck ins Gesicht?“ — „Lydia“,
sagte ich. „Lassen wir sie ein kleines Weilchen toben. Ein
Hälmchen … Ich möchte noch mal sehn, wie das ist. Nur
ein Weilchen!“ Die Prinzessin fiel murrend aus dem Fran-
zösischen in ihr geliebtes Plattdeutsch. „Ick schall mi von
Schap beeten laten, wenn ick ’n Hund in de Tasch hebb?“
Und nun wandten wir uns wieder zu der Kleinen, die un-
ruhiger wurde mit jedem Schritt, der uns dem Kinderheim
näherbrachte. „Darf ich auch wieder heraus? Aber sie läßt
mich ja nicht — sie läßt mich ja nicht!“ — „Wir müssen
doch deine Sachen holen, und du brauchst keine Angst zu
haben …“ Als wir das Kinderheim sahen, sagten wir gar
nichts mehr. Ich legte der Kleinen leise meinen Arm um
die Schultern. „Komm — das geht gut aus!“ Sie ließ sich
ein bißchen ziehen, aber sie ging still mit. Wir brauchten
nicht zu klopfen — die Tür war offen.
Frau Adriani stand unten in der Halle, sie war über
eine Truhe gebeugt und wandte uns den Rücken zu. Als
sie unsre Schritte hörte, drehte sie sich blitzschnell um.
„Ah — da sind Sie ja! Na, das ist Ihr Glück! Sind Sie mei-
nem Mädchen nicht begegnet? Nein? Na, es ist schon je-
mand unterwegs, falls Sie nicht gekommen wären … Wo
bist du hingelaufen, du Teufelsbraten!“ schrie sie das Kind
an: „Wir sprechen uns nachher! Nachher sprechen wir uns!
Los jetzt!“ Das Kind verkroch sich hinter die Prinzessin.
„Einen Augenblick“, sagte ich. „So schnell geht das nicht.
Warum ist das Kind von Ihnen fortgelaufen?“ — „Das
geht Sie gar nichts an!“ schrie Frau Adriani. „Gar nichts
geht Sie das an! — Komm her, mein Kind!“ Sie ging auf
das Kind zu, das ängstlich zusammenzuckte. Sie legte der
Kleinen die Hand auf den Kopf. „Was sind denn das für
Dummheiten! Wozu läufst du denn vor mir fort? Hast du
Angst vor mir? Du mußt vor mir keine Angst haben! Ich
will doch dein Bestes! Da läufst du nun zu fremden Leu-
ten … stehen dir denn diese fremden Menschen näher als
ich? Ich habe dir doch erzählt: die sind nicht mal richtig
verheiratet …“ Sie sprach so falscheindringlich in das Kind
hinein, aber ihre Stimme wußte sich gehört; sie sprach
gewissermaßen im Profil. „Läufst hier fort …!“ Das Kind
schauerte zusammen.
„Kann ich Sie wohl mal sprechen?“ sagte ich sanft.
„Was … wir haben uns nichts zu sagen!“ — „Vielleicht doch.“
Wir gingen alle in den Eß-Saal.
„Also das Kind ist zu Ihnen gelaufen! Das ist ja reizend!
Ihr Glück, daß Sie es auf meine Weisung sofort wiederge-
bracht haben! Sie wird nicht mehr weglaufen — das kann
ich Ihnen versprechen. So ein Geschöpf! Na warte …“ —
„Das Kind muß doch einen Grund gehabt haben, wegzu-
laufen!“ sagte ich. „Nein. Das hat es gar nicht gehabt. Es
hat keinen Grund gehabt.“ — „Hm. Und was werden Sie
nun mit ihm machen?“ — „Ich werde es bestrafen“, sagte
Frau Adriani satt und hungrig zugleich. Sie reckte sich in
ihrem Stuhl. „Erlauben Sie mir bitte eine Frage: Wie wer-
den Sie es bestrafen?“ — „Ich brauche Ihnen darauf keine
Antwort zu geben — ich muß das nicht. Aber ich sage es
Ihnen, denn es ist im Sinne von Frau Collin, im Sinne von
Frau Collin, daß das Kind streng gehalten wird. Sie wird
also Zimmerarrest bekommen, die kleinen Hausstrafen,
Arbeiten, es darf nicht mit den andern spazierengehn — so
wird das hier gemacht.“ — „Und wenn wir Sie bitten, dem
Kind die Strafe zu erlassen … täten Sie das?“ — „Nein.
Dazu könnte ich mich nicht entschließen. Da könnten
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