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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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vorhin nicht gewußt! Aber wohin gehört chrys-
    chrys …“ — „Ich auch!“ Nun lag ich halb auf dem Bett,
    bei der Prinzessin, und starrte angestrengt auf die Blei-
    stiftschreiberei. „Chrysopras!“ sagte ich plötzlich. „Chry-
    sopras! Gebt mal her!“ Die beiden schwiegen bewundernd,
    und ich genoß meine lexikalische Bildung. Wir horchten.
    Ein Windstoß fuhr gegen die Scheiben, draußen trom-
    melte der Nachtregen. „Kalt ist das …“ sagte ich. „Komm
    zu mir!“ sagte die Prinzessin. „Du erlaubst doch, Billie?“
    Billie erlaubte. Ganz still lag ich neben der Prinzessin.
    „Gestalt aus Shakespeares ‚Sturm‘ …“ Allmählich rann
    die Wärme Lydias zu mir herüber. Mir lief etwas leise den
    Rücken hinunter. Billie rauchte und sah an die Decke. Ich
    legte meine Hand hinüber — sie nahm sie und streichelte
    mich sanft. Ihr Ring blitzte matt. Noch lagen wir beieinan-
    der wie junge Tiere — wohlig im Zusammensein und froh,
    daß wir beisammen waren: ich in der Mitte, wie gebor-
    gen. Billie fing an, in der Kehle zu knurren. „Was knurrst
    du da?“ sagte Lydia. „Ich knurre“, sagte Billie. Gestalt
    aus Shakespeares ‚Sturm‘ … War es das Wort? Das Wort
    Sturm? Wenn Bienen andre Bienen zornig summen hören,
    werden sie selber zornig. War es das Wort Sturm? Oben in
    den Schulterblättern begann es, ich dehnte mich ein ganz
    klein wenig, und die Prinzessin sah mich an. „Was hast
    du?“ Niemand sagte etwas. Billie knackte mit meinen Nä-
    geln. Wir hatten das Blatt sinken lassen. Es war ganz still.
    „Gib mal Billie einen Kuß!“ sagte die Prinzessin halb-
    laut. Mein Zwerchfell hob sich — ist das der Sitz der Seele?
    Ich richtete mich auf und küßte Billie. Erst ließ sie mich
    nur gewähren, dann war es, wie wenn sie aus mir tränke.
    Lange, lange … Dann küßte ich die Prinzessin. Das war
    wie Heimkehr aus fremden Ländern.
    Sturm.
    Als Zephir begann es — wir waren ‚außer uns‘, denn
    jeder war beim andern. Es war ein Spiel, kindliche Neugier,
    die Freude an einer fremden Brust … Ich war doppelt, und
    ich verglich; drei Augenpaare sahen. Sie entfalteten den
    Fächer: Frau. Und Billie war eine andre Billie. Ich sah es
    mit Staunen.
    Ihre Züge, diese immer ein wenig fremdartigen Züge,
    lösten sich; die Augen waren feucht, ihre Gespanntheit
    wich, und sie dehnte sich … Der Pyjama erblühte bunt.
    Nichts war verabredet, alles war wie gewohnt — als müßte
    es so sein. Und da verloren wir uns.
    Es war, wie wenn jemand lange mit seinem Bobsleigh
    am Start gestanden hatte, und nun wurde losgelassen —
    da sauste der Schlitten zu Tal! Wir gaben uns jenem, der
    die Menschen niederdrückt und aufhebt, zum tiefsten
    und höchsten Punkt zugleich … ich wußte nichts mehr.
    Lust steigerte sich an Lust, dann wurde der Traum klarer,
    und ich versank in ihnen, sie in mir — wir flüchteten aus
    der Einsamkeit der Welt zueinander. Ein Gran Böses war
    dabei, ein Löffelchen Ironie, nichts Schmachtendes, sehr
    viel Wille, sehr viel Erfahrung und sehr viel Unschuld.
    Wir flüsterten; wir sprachen erst übereinander, dann über
    das, was wir taten, dann nichts mehr. Und keinen Augen-
    blick ließ die Kraft nach, die uns zueinander trieb; keinen
    Augenblick gab es einen Sprung, es hielt an, eine starke
    Süße erfüllte uns ganz, nun waren wir bewußt geworden,
    ganz und gar bewußt. Vieles habe ich von dieser Stunde
    vergessen — aber eins weiß ich noch heute; wir liebten
    uns am meisten mit den Augen.
    „Mach das Licht aus!“ sagte Lydia. Das Licht erlosch,
    erst die große Krone im Zimmer, dann das Lämpchen auf
    dem Nachttisch.
    Wir lagen ganz still. Am Fenster war ein schwacher
    Schein. Billies Herz klopfte, sie atmete stark, die Prinzessin
    neben mir rührte sich nicht. Aus den Haaren der Frauen
    stieg ein Duft auf und mischte sich mit etwas Schwachem,
    was die Blumen sein mochten oder das Parfum. Sanft löste
    sich Billies Hand aus der meinen, „Geh“, sagte die Prinzes-
    sin, fast unhörbar.
    Da stand ich nebenan im Zimmer Billies und sah vor
    mich hin. Kikeriki — machte es ganz leise in mir, aber das
    war gleich vorbei, und ein starkes Gefühl der Zärtlichkeit
    wehte zu denen da hinüber. Ich legte mich nieder.
    Sprachen sie? Ich konnte es nicht hören. Ich stand wie-
    der auf und kroch unter die Dusche. Eine süße Müdigkeit
    befiel mich — und ein fast zwanghafter Trieb, hinzugehen
    und ihnen Rosen auf die Decke … wo bekommt man denn
    jetzt nachts

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