Schloß Gripsholm
sie werden ihn
doch nicht in Abbazia an ein öffentliches Haus verkauft
haben?“ — „Na, ob da Bedarf für ist …“ — „Daddy, wo ist
eigentlich der Dackel?“ — „Dein Kofferdackel?“ — „Ja.“ —
„Der steht doch … der steht unter meinem Bett. Nachts
bellt er.“ Wir gingen ins Haus.
Die Prinzessin pfiff wie ein Lockvogel. Was gabs?
Der Brief war da — ein dicker Brief. Sie riß ihn auf, und
ich nahm ihn ihr fort, dann flatterten die Bogen auf den
Boden, wir sammelten sie auf und brachen in ein fröhli-
ches Geschrei aus. Da war alles, alles, was wir brauchten.
„Das ist fein. Na — aber nun! Wie nun?“
„Das beste is,“ sagte die Prinzessin, „wir gehn gliks mal
eins hin un holen uns dem Kinde her von diese alte Gift-
nudel. Auf was wolln wi nu noch warten?“
„Jetzt essen wir erst mal Mittag, und dann gleich nach
Tisch … Krach ist gut für die Verdauung.“
Wir saßen grade bei den Preiselbeeren, diesem mild
brennenden Kompott, da hörten wir draußen vor der Tür
ein Getöse, das Ungewöhnliches anzeigte. Wir ließen die
Löffel sinken und horchten. Nun — ? Die Schloßfrau kam
herein; sie sah aus wie ein Extrablatt.
„Da ist ein Kind draußen,“ sagte sie und sah uns ganz
leicht mißtrauisch an, „ein kleines Mädchen — sie weiß
nicht, was Sie heißen, aber sie sagt, sie will zu den Mann
und der Frau, die ihr eine Puppe gegeben hat, und sie wein-
ten die ganze Zeit und sie bin so rot im Gesicht … Kennen
Sie das Kind?“ Wir standen gleich auf. „O ja — das Kind
kennen wir schon.“ Hinaus.
Da stand der kleine Gegenstand.
Sie sah recht zerrupft aus, verweint, die Haare hingen
ihr ins Gesicht, vielleicht war sie schnell gelaufen. Das
Kind war nicht recht bei sich. Als es Lydia sah, lief es rasch
auf sie zu und versteckte sein Gesicht an ihrem Kleid.
„Was hast du denn? Was ist denn?“ Die Prinzessin beugte
sich nieder und verwandelte sich aus dem Sportmädchen
von heute morgen in eine Mama; nein, sie war beides. Die
Schloßfrau stand dabei, ein Schwamm der Neugierde — sie
saugte es alles auf. Also?
Das rote Weib hatte das Kind geprügelt und geknufft
und so laut geschrien; das Kind war fortgelaufen. Es war
wohl nicht mehr auszuhalten gewesen. Und nun zitterte
das Kind und zitterte und sah nach der Tür. Kam sie — ?
Frau Adriani würde sie holen. Frau Adriani würde sie ho-
len. Es war nur bruchstückweise aus ihr herauszubekom-
men, was es gegeben hatte. Schließlich wußten wir alles.
Wir standen herum. „Ich gebe sie nicht mehr heraus“,
sagte ich. „Nein … natürlich nicht“, sagte die Prinzessin.
Die Schloßfrau: „Senden Sie nicht das Kind zurück?“ Der
kleine Gegenstand begann laut zu weinen: „Ich will nicht
zurück! Ich will zu meiner Mutti!“ — „Noch einen schwar-
zen Kaffee,“ sagte ich zur Prinzessin, „und dann gehts los.“
Wir nahmen das Kind mit hinein und bauten vor ihm Keks
auf. Es nahm keine Keks. Wir tranken still; wenn es wild
zugeht, soll man immer erst einmal bis hundert zählen
oder einen Kaffee trinken.
„So, Lydia — jetzt wisch mal dem Kind das Geheul
ab und beruhige es ein bißchen, und ich werde mit dem
süßen Schatz telefonieren! Würden Sie mich bitte mit
dem Kinderheim verbinden?“ Die Schloßfrau stellte viele
Fragen, ich beantwortete sie sehr kursorisch, sie sagte et-
was Schwedisches in das Telefon; und dann saß ich da und
wartete.
Jemand meldete sich, auf schwedisch. Ich sprach aufs
Geratewohl deutsch. „Kann ich Frau Adriani sprechen?“
Lange Pause. Dann eine harte, gelbe Stimme. „Hier Frau
Direktor Adriani!“ Ich meldete mich. Und da brach es drü-
ben los.
„Das Kind ist wohl bei Ihnen? Ja?“ — „Ja.“ — „Sie geben
es sofort … Sie schicken mir sofort das Kind! Ich werde es
abholen lassen — nein: Sie schicken es mir sofort … Sie
bringen mir auf der Stelle das Kind zurück! Ich zeige Sie
an! Wegen Kindesentführung! Das haben Sie dem Kind
in den Kopf gesetzt! Sie! Was? Wenn das Kind nicht in
einer halben Stunde … nicht in einer halben Stunde bei
mir … Haben Sie mich verstanden?“ In mir schnappte das
Regulativ ein, das die Feder zurückhält. Ich hatte mich fest
an der Leine. „Wir sind in einer halben Stunde bei Ihnen!“
Ein Knack — es wurde abgehängt.
„Lydia“, sagte ich. „Was nun? Ich werde mit der Alten
schon reden — diesmal ist sie dran. Aber die Sachen von
dem Kind … Es hilft
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