Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Menge«, grinste ich. »Aber auch Angst vor Papas Anwalt. Insofern
können wir die Fortsetzung unseres Gesprächs gern verschieben.«
»Ich zahle schon mal«, knurrte Daniel und ging zur Bar.
Inez blickte ihm nach. »Es ist meine Schuld, dass er so sauer und dünnhäutig
ist. Ich habe es dem armen Kerl nicht leicht gemacht. Das dürfen Sie nicht vergessen.«
Ein leichter Schwenk ihres Kopfes, und sie sah mich an, mit ihren dunklen, klaren
Augen. »Ich schwöre Ihnen, Herr Koller, wir haben beide nichts mit Thorstens Tod
zu tun. Es gab keinen Grund, ihm etwas Böses zu wünschen. Ich kann auch nicht behaupten,
sehr traurig oder verzweifelt zu sein, dafür war unsere Beziehung vielleicht etwas
zu … ja, zu oberflächlich. Ich finde es einfach nur schrecklich.« Und als ich darauf
nicht antwortete, machte sie Anstalten, Daniel zu folgen. »War’s das, Herr Koller?«
Ich zückte einen Stift. »Gibst du mir noch deine Adresse? Und die deines
Freundes auch?«
Sie lächelte. »Meine, ja. Die von Daniel müssen Sie sich schon selbst
besorgen.«
Ich sah ihr zu, wie sie ihre Anschrift notierte. Auf eine Serviette,
aus alter Verbundenheit. Inez hatte kleine, kräftige Hände, ihre Fingernägel glänzten
tiefrot. Zum Abschied schenkte sie mir eines ihrer wohldosierten Lächeln.
Ich blieb noch eine Weile sitzen und nippte an meinem Kaffee. Durch
die großen Fensterscheiben des Scenic sah ich, wie Inez ihrem Freund einen Kuss
gab und sich dann hinter ihn auf eine hellblaue Vespa setzte. Ein hübsches Paar,
die beiden. Viel hübscher als das Paar Schallmo-Inez, diese Kombination aus Lehrer
und Schülerin. Aber auch passender?
Gute Frage. Vielleicht war es pure männliche Rivalität, die mich erahnen
ließ, dass Daniel mit seiner attraktiven Spanierin nicht glücklich werden würde.
Vielleicht spürte ich aber auch einfach nur, dass zwischen den beiden etwas stand,
was ihre Beziehung früher oder später zum Scheitern bringen würde. Na ja, Kunststück;
die zwei waren noch keine 18, und welche Liebe war in diesem Alter von Dauer?
»Die Lie-hie-hiebe«, summte ich und sah der schlechtgelaunten Bedienung
nach. Apropos: Bei aller Liebe traute ich der schönen Inez nicht über den Weg. Die
Offenheit, mit der sie mich hier im Scenic beglückt hatte, war doch wohl ausschließlich
eine aus Kalkül. Ich hatte ja erlebt, wie giftig, aggressiv und ungerecht sie sein
konnte; die lange Laura wusste ein Lied davon zu singen. Vielleicht hatte Inez gemerkt,
dass ich ihr mit meinen Nachforschungen gefährlich werden konnte – gefährlich natürlich
nur in Anführungszeichen, es ging schließlich um Gefühle, um Freundschaften, um
die eigene ungefestigte Existenz –, woraufhin sie beschlossen hatte, auf die Karte
Nettigkeit zu setzen. Probehalber. Nur heute. Morgen konnte das schon ganz anders
sein.
Ich gähnte. Wir würden sehen. Es war jedenfalls viel angenehmer, sich
mit so cleveren und gut aussehenden jungen Damen auseinandersetzen zu müssen als
mit den Rentnerinnen vom Schlossblick. Ich schaltete mein Handy ein und suchte nach
der Nummer, unter der mich Inez vorhin angewählt hatte. Dann verglich ich sie mit
den Nummern auf Schallmos Anrufliste.
Kein Kontakt seit zwei Wochen? Keine Mail, keine Nachricht, nichts?
Von wegen, junge Dame! Die Spanierin hatte mich angelogen! Da stand es, schwarz
auf weiß: Sie war angerufen worden, von Schallmo höchstpersönlich. Ihrem angeblichen
Exlover. Am Tag seines Todes, um Viertel vor vier.
Du Biest, dachte ich. Du verdammte kleine Lügnerin!
13
Und nun?
Ich stand eine Weile vorm Scenic und ließ mir die Frühlingssonne ins
Gesicht scheinen. Dass ich noch einmal mit Inez reden musste, war klar. Aber das
hatte Zeit. Ich konnte sie heute Abend anrufen oder morgen, im Laufe des Tages.
Vielleicht fuhr ich auch bei ihr zu Hause vorbei; man gewann einen ganz anderen
Eindruck von Leuten, wenn man sah, wie sie wohnten, ob sie Haustiere hatten und
welche Bücher auf ihrem Nachttisch lagen.
Könnte ja eines von Max Koller dabei sein.
Nein, bevor ich Inez zur Rede stellte, wollte ich noch mehr über Thorsten
Schallmos letzte Wochen erfahren. Wenn man ihren Worten Glauben schenken konnte,
gab es da eine junge Frau, die Kontakt zu ihrem ehemaligen Lehrer gesucht hatte.
Möglicherweise dieselbe, die sich von Schallmo im Stich gelassen fühlte. Sie aufzuspüren,
würde nicht einfach werden. Ich konnte es in der Rohrwaldschule versuchen, am besten
bei den Mädchen, die wussten über so etwas
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