Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
Mikrofondildo hatte sich tief in meinen Rachen gebohrt. In dem Moment wusste ich: Ich würde niemals eine Jungesellinnenabschiedsparty geben.
Simone wohnt jetzt übrigens auswärts. Zwölf Kilometer weit weg, in einem anderen Dorf. Ich habe sie nie wieder gesehen.
Langsam wird es dunkel, ich packe die restlichen zermantschten Pfirsiche und die Liege zusammen und schleiche mich an den fernsehguckenden Schwiegereltern vorbei in die Dachbutze. Von Heiner keine Spur. Ich werde ein bisschen traurig und weiß eigentlich gar nicht warum.
Ich lege mich aufs Bett. Als das Telefon klingelt, erschrecke ich mich so, dass ich mir den Kopf an der Dachschräge stoße. Das ist doch kein Leben! Ich brauche Luftraum. Sicherheitsraum über meinem Kopf. Oder sollte ich vielleicht etwas Schaumstoff an die allzu nahe Wand nageln? Es klingelt weiter, ich mache mir einen kurzen Moment Sorgen: Ist Heiner etwas passiert? Ach, nein, was soll dem schon zustoßen außer ein paar Bier.
Meine Nicht-Sorge ist berechtigt, am Telefon ist nämlich Sandra. Meine alte Schulfreundin. Die, die in die Stadt gezogen ist und studiert. Sie hat es wirklich getan, hat sich auf ein Leben ohne Carport eingelassen und scheint sogar glücklich damit zu sein. Wir haben nur noch selten Kontakt, aber ich freue mich immer sehr, wenn sie zu Besuch kommt. Immerhin zwei Mal im Jahr: an Weihnachten und zum Geburtstag ihrer Oma. Und der fällt meistens mit dem Feuerwehrball zusammen. Nachmittags schlägt sie sich den Bauch mit Buttercremetorten voll, abends verwirrt sie in aberwitzigen Outfits die Dorfjugend und findet das Ganze auch noch spaßig. »I'm going back to my roots« , singt sie dann immer. Sie kann sich mit allen prima über das Wetter unterhalten, sie studiert schließlich Meteorologie. Oder war es Astronomie? Ich weiß nicht, warum ich mir das nicht merken kann.
»Silke, ich komme dieses Jahr nicht zum Feuerwehrball. Meine Oma hat sich in den Kopf gesetzt, an ihrem Geburtstag ins Theater zu gehen, und da muss die gesamte Familie natürlich mit.«
»Schade! Dann sehen wir uns ja wieder ein halbes Jahr nicht. Sogar über ein halbes Jahr.« Ich bin wirklich enttäuscht.
»Naja, du könntest mich ja mal besuchen und wir gehen zusammen aus. Nächste Woche, am Sonntag, spielt eine geniale Band. Der Sänger ist der absolute Wahnsinn. Und das beste: Ich stehe auf der Gästeliste. Plus eins. Du bist eingeladen.«
Sandra hat Recht. Ich könnte sie mal besuchen. Theoretisch. Praktisch wissen sie und ich, dass ein Ausflug vom Dorf in die große Stadt sorgfältig geplant sein will und nicht mal eben so stattfindet. Vorlaufzeit: mindestens zwei Monate. Nicht mal eben nächste Woche. Das ist eben so.
»Ach nee«, antworte ich, gelähmt von der Spontaneität der Einladung. »Am Montag muss ich doch arbeiten. Da muss ich ausgeschlafen sein.« Eine lahme Ausrede, aber immerhin wahr.
»Ja, ich verstehe«, sagt Sandra, »den Nerven aufreibenden Alltag auf dem glatten Parkett des internationalen Devisenhandels kann man natürlich nur hellwach bewältigen.«
War das jetzt ein Witz oder Ironie oder was? Ich kann das gerade nicht mehr so recht wahrnehmen.
»Hey, das war ein Scherz«, sagt Sandra.
»Sei bloß vorsichtig, sonst bekommst du beim nächsten Weltspartag keine Sparschwein mehr von mir. Oder ich löse heimlich dein altes Sparbuch auf und brenne mit deinen eisernen Rücklagen nach Honolulu durch.«
»Das reicht doch noch nicht mal für eine Busfahrkarte in die Stadt.«
Wir plänkeln noch ein bisschen herum, und Sandra versucht noch einmal, mich zu überreden, sie zu dem Konzert zu begleiten. Aber ich bin so müde, dass mir eine solche Unternehmung schon in meiner Phantasie unendlich anstrengend vorkommt. Ich bleibe bei meiner Absage.
Der Samstag ist wahrhaft gelungen: Eine fruchtlose Massivhausparkbesichtigung, eine missglückte Sexphantasie mit einer neuen, unerreichbaren Flamme und die lebhafte Erinnerung an einen peinlichen Abend. Und dann schlage ich auch noch die Einladung einer alten Freundin aus. Die perfekte Wochenendgestaltung einer modernen jungen Frau. Wie aus einer Frauenzeitschrift kopiert. Einer Frauenzeitschrift mit dem Titel: Schlapp & müde – Das anspruchslose Blatt für die Leserin ohne Perspektive.
Ich träume, ich sei Chefredakteurin einer solchen Zeitschrift und muss widerlich engagierte, karrieregeile, aufgeweckte Mitarbeiterinnen zur Räson bringen. Das kommt davon, wenn man bei Filmen einschläft, die im Zeitschriftenmilieu spielen
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