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Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Titel: Schlüsselfertig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Rick
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Absurd. Will er etwas vertuschen? Vielleicht brennen ihm auch einfach nur ein paar Sicherungen durch.
    Er greift in seine Schublade und zieht einen Revolver ... pardon, nein: einen Umschlag hervor.
    »Silke, Sie wissen ja wahrscheinlich, dass, ähhh, dass, ähhhem, eine Modernisierungsmaßnahme in dieser unserer Filiale geplant ist.« Seine Stimme klingt noch etwas höher und zittriger als sonst, wie ein kastriertes Erdmännchen.
    »Ja«, antworte ich einsilbig und unbeweglich, während ich mich nach dem kürzesten Fluchtweg umsehe.
    »Daher, also, im Zuge dessen ist es leider unumgänglich, bedauerlicherweise, ä hhhh, sehen wir uns gezwungen, personelle Schritte einzuleiten. Rationalisierungsmaßnahmen. Das Human-Resources-Management ...« Er hat neulich an einem Wochenendseminar für Führungskräfte teilgenommen, seither spricht er etwas verquast.
    Ich nicke verständnisvoll, finde mich scheinbar mit der Rolle des Opfers ab, während mein Blick den Schreibtisch unauffällig nach waffenfähigem Material absucht. Der Brieföffner sieht ganz brauchbar aus.
    »Also, ähhh, wir müssen uns von ihnen trennen. Ein Geldautomat wird Ihre Aufgaben übernehmen.« Mit einer ruckartigen Bewegung streckt er mir den Umschlag hin. Ich weiche erschrocken zurück, dem Stuhl entfährt ein lauter Pups.
    »Wie bitte?«
    Herr Markmann ringt um Fassung. »Kündigung. Das ist Ihre Kündigung. Wenn Sie den Empfang bitte hier quittieren würden.« Er lässt den Umschlag vor mir fallen, wirft einen Quittungsblock hinterher und stammelt: »Der Ordnung halber, Sie wissen schon. Natürlich werden Sie eine angemessene Abfindung erhalten. Und Sie sind ab sofort – ähhhh – freigestellt.«
    Da ich ja grundsätzlich kein ordentlicher Mensch bin, greife ich mir zwar den Umschlag, ignoriere aber den Quittungsblock und gehe aus dem Zimmer. Das war also Markmanns perfide Art, mich aus dem Weg zu räumen. Nicht ganz so drastisch und filmreif wie im Tatort , aber doch sehr effektiv.
    Ich nehme wortlos meine Tasche, stopfe die Reste von Susis Süßigkeiten-Tagesvorrat hinein und verlasse die Filiale. Susi berät gerade Oma Ellerbrock und weicht meinem Blick aus. Wahrscheinlich hat sie es gewusst. Na wenn schon. Ich habe es doch auch geahnt. Verletzt bin ich trotzdem. Gedemütigt. Aber immerhin mit dem Leben davon gekommen. Mein Leben ist eben ein schlechter Krimi.
    Als ich hinausgehe, fährt ein Lastwagen vor. Zwei Männer, die aussehen, als seien sie direkt der Cola-LightReklame, dem feuchten Traum aller Sekretärinnen, entsprungen, laden den nagelneuen Geldautomaten ab. Mein Nachfolger. Wenigstens wird er Susi nicht die Süßigkeiten klauen. Einen Moment lang hängt der schwere Kasten in der Luft, es sieht so aus, als würde er den Packern entgleiten und auf den Betonplatten zerschellen. Hätte ich dann meinen Job wieder? Würde man mich wieder brauchen? Will ich überhaupt zurück?
    Ich überquere die Hauptstraße, ohne nach rechts oder links zu sehen, und setze mich auf die Bank vor dem Feuerwehrhaus. Ich kann bis fünfzig, manchmal auch bis hundert zählen, bis ein Auto vorbeifährt. Ab und zu donnert ein schwerer Kieslaster vorbei, dann staubt es. Ich glaube, ich habe noch nie so ruhig an einem Werktag mitten im Dorf gesessen. Nur ein paar alte Frauen fahren zügig auf ihren Fahrrädern vorbei, grüßen, ich grüße zurück. Hoffentlich kommt niemand vorbei, der mit mir reden will.
    In allen Fenstern hängen Gardinen. Oft halbhohe Bistrovolants, handgehäkelt. Mir fällt die Zeile eines Songs ein, den Brigitte mir mal auf Kassette aufgenommen hat: Andere Fenster, andere Sorgen, hinter Vorhängen verborgen. Oder, wie meine Oma oft sagte: Unter jedem Dach ein Ach. Ich überlege: Das Dorf hat knapp 2000 Einwohner. Es gibt drei Kneipen, von denen allerdings keine einzige vormittags geöffnet hat, eine Sparkassenfiliale, in der ich bis eben noch meine Tage verbracht habe, einen Supermarkt, ein Modehaus, einen Opelhändler (meinen Schwiegervater). Es gibt den Schützenverein, den Landfrauenverein, die Freiwillige Feuerwehr und bald auch ein Aerobic-Center. Es gibt nichts, was es hier nicht gibt. Oder doch: Arbeitslose. Arbeitslosigkeit kennt man hier nicht. Der eine oder andere geht vielleicht in Frührente oder trinkt zuviel und arbeitet deshalb nicht. Aber ich kenne keinen einzigen, dem gekündigt wurde. Ich bin die erste Arbeitslose des ganzen Dorfes! Eine Premiere, auf die ich gut hätte verzichten können.
    Vielleicht stimmt das gar nicht?

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