Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
Mai
»Doch, man gewöhnt sich dran«, beruhigt mich Brigitte. »Man gewöhnt sich an alles: An ein überzogenes Konto, an geblümte Vorhänge, an abwesende Liebhaber. Man gewöhnt sich sogar daran, betrogen zu werden. Das ist ja das Schlimme: Wenn sich ein Zustand nur lange genug hält, dann wird er normal. Als wäre das Leben immer schon so gewesen. Und man kann sich gar nicht vorstellen, dass es auch anders sein könnte.«
Wir stehen auf der Wiese hinter ihrem Haus, die direkt an den örtlichen Kinderspielplatz grenzt, und gucken gen Himmel. Hinter uns spielen zwei kleine Jungen im Sandkasten, über uns kreisen ein paar kleine Punkte herum: Brigittes Tauben.
Brigitte zieht eine weitere aus dem Schlag, der neu sein muss; jedenfalls habe ich ihn hier noch nie gesehen. »Warum ist die nicht auch da oben?«, frage ich und deute auf den weißen Vogel.
»Das ist der Dropper.«
»Der was?«
»Guck einfach mal, was passiert.«
Brigitte setzt die persilweiße Pfauentaube auf den Boden, streut etwas Futter aus – und schwenkt ein Fähnchen. Auf dieses Kommando fallen die Tauben plötzlich wie Steine vom Himmel. Sie rauschen knapp an mir vorbei. Die beiden Jungen auf dem Spielplatz bekommen einen Riesenschreck und laufen heulend und schreiend zu ihren Mütter. Ich mache einen Satz nach hinten und fühle mich wie in einer Theateraufführung von Hitchcocks Die Vögel.
»Huch!«, stoße ich hervor. »Was war das denn?«
»Syrische Adanawammentauben!« Brigitte ist sicht- und hörbar stolz auf ihr neues Hobby. »Das sind dressierte Sturzflugtauben. Cool, oder?«
Ich frage lieber nicht nach, ob sie damit einen oder gar zwei Buchstaben auf ihrer To-Do-Liste abhaken kann. »Was ist denn aus deiner Konfekthäkelei geworden?«
»Ach, das sah nachher alles gleich aus. Spekulatius, Lebkuchen, Dominosteine – alles kleine braune Garnklümpchen. Das Handarbeiten überlasse ich doch lieber dem Ideenkreis junger Landfrauen. Tauben sind viel eleganter und passen daher besser zu mir.«
»Wie bist du denn an die Biester gekommen?«
»Hey, wie sprichst du denn von meinen edlen Tieren? Tauben sind die Rennpferde des kleinen Mannes!«
»Du bist weder ein kleiner Mann, noch hast du je etwas für Pferde übrig gehabt.«
»Aber für Modellflugzeuge, erinnerst du dich? Nur sind mir die doch immer kaputtgegangen, und weil ich technisch so unbegabt bin, kann ich die nicht selbst reparieren. Irgendwann habe ich im Fernsehen eine Dokumentation über diese Tauben gesehen, und da wusste ich: Die muss ich haben! Seitdem standen sie auf meiner Liste. Wolfgang hat irgendwo einen Züchter kennen gelernt. Und der hat mir die verkauft.«
Brigitte ist so etwas von konsequent. Und sie entwickelt sich stetig weiter. Früher flogen in ihrem Zimmer ein Kanarienvogel mit Hasenscharte, ein uralter Wellensittich und zwei Papageien mit verkrüppelten Füßen herum. Und auf dem Fensterbrett saß ein Nymphensittich, der Angst vorm Fliegen hatte. Jetzt hat Brigitte ihre Tauben. Und wenn sie sagt, sie hätte gern ein Weingut, dann meint sie das verdammt ernst. Sie wird es bekommen – und ich gönne es ihr, auch wenn mir bei dem Gedanken, dass sie hier einfach wegziehen und mich zurücklassen könnte, angst und bange wird.
»Es wird Zeit!« Brigitte wirft den Tauben noch etwas Futter hin. »Die Show kann beginnen.«
5. Kapitel:
Alles ziemlich billig
Mittwoch, 11. Mai, später
Im Feuerwehrhaus verstecken wir uns auf der Galerie, von der aus wir den ganzen Raum überblicken können. Kurz darauf kommen ein Fotograf, sein Assistent samt Fotoausrüstung, Monique und eine Frau mit einem Alurollkoffer hereinmarschiert.
»Hier ist es ja total zappenduster«, brüllt der Fotograf. »Ey, Dirk, mach mal die Klappe da auf!« Er deutet auf das große Garagentor, durch das zwei Löschfahrzeuge gleichzeitig passen.
»Nee ... äh ... Moment mal, halt, das geht aber nicht«, piepst Monique dazwischen.
»Wieso denn nicht?«
»Dann können ja alle reingucken. Außerdem habe ich keinen Schlüssel dafür.«
Ach, denke ich, so exhibitionistisch wie sie immer tut ist sie also doch nicht.
»Rolfischatzi, du hast doch diese ganzen tollen Lampen mitgebracht, lass Dirk die doch aufbauen.« Die Frau mit dem Rollkoffer versucht die Situation zu retten. »Das sieht doch sooooo professionell aus!«
»Was hier professionell ist, bestimme immer noch ich«, murrt der wahnsinnig professionelle Fotograf, lenkt aber ein und gibt dem Assistenten ein Zeichen. Dirk baut Stative für
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