Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
der Umkleidekabine komme, sehe ich aus, als würde ich zur Entenjagd gehen. Perfekt getarnt, meine Umrisse sind kaum noch zu erkennen. Fehlt nur noch die Lockpfeife und die Flinte.
»Nein, das ist noch nicht ganz das Richtige«, sagt meine Mutter.
»Wie wäre es mit diesem Anzug, der modernes Design mit zeitloser Eleganz verbindet? Die ungefütterte Blusenjacke ist taillenkurz geschnitten und schließt auf drei verdeckte Knöpfe. Die schlanke Hose mit lässiger Schenkelweite und schmalem Bund ist ohne Bundfalte gearbeitet und sitzt besonders bequem«, doziert Frau Redeker fachkundig. Sie hat kürzlich das Seminar In meinem Geschäft bin ich die Königin: Gekonnt verkaufen besucht, auch ein Angebot des Landfrauenvereins.
»Das ist was für mich!«, ruft Mutti entzückt, greift sich das schenkelfreundliche Dreiknopfensemble und huscht in die Umkleidekabine. Ich bleibe in meinem Entenjagddress im Verkaufsraum stehen und sehe mir das Angebot auf den Kleiderständern an. Es überwiegen Blusen in »kombistarken Dessins« (Zitat Frau Redeker), gefolgt von Röcken mittlerer Länge und Hosen, deren Beine unten enger sind als oben.
Mutti tritt schon wieder aus der Kabine und dreht sich vor dem großen Spiegel einmal rasch um die eigene Achse. Frau Redeker und ihre beiden Angestellten brechen spontan in verzücktes Gejubel aus.
»Phantastisch!« – »Wunderbar!« – »Der Anzug steht dir perfekt! Wie elegant und gleichzeitig sportlich du aussiehst! Der ist ja wie für dich gemacht!«
Ich muss zugeben: Sie haben Recht. Mutti sieht wirklich gut aus.
»Den nehme ich«, verkündet sie mit einer weiteren schwungvollen Drehung. »Aus welchem Material ist der?«
»Microsilk. Das sieht besser aus als teure Wolle oder echte Seide, ist knitterfrei und sogar waschbar.«
»Auf dem Schild steht aber 100 Prozent Polyester«, werfe ich nach einer kurzen Inspektion des Pflegeetiketts ein.
»Da sieht man mal, wozu diese modernen High-TechMaterialien in der Lage sind!«, jubiliert meine Mutter. Ich glaube, sie hat mir gar nicht zugehört. »Jetzt brauchen wir nur noch etwas für Silke. Zieh doch mal ein hübsches Kleid an!« Der Anblick des zweiteiligen, entenschnoddergrünen Batiksackes, in dem ich immer noch stecke, scheint eine Strategieänderung erforderlich zu machen. Keine festliche Schlabberhose, sondern etwas Feminineres ist jetzt gefragt.
»Da haben wir etwas ganz Besonderes!« Frau Redeker trägt aus den Tiefen des Raumes eine Menge backsteinfarbenen Stoff herbei. »Das echte Ibiza-Kleid!«
»Wie kommt das denn hierher? Ist es auf einem Schüleraustausch, oder macht es Urlaub?«, versuche ich mich an einem kleinen Scherz. Die Textilfachfrauen lächeln höflich, gehen jedoch nicht weiter darauf ein.
»Es ist authentisch, unkompliziert, verführerisch, wunderbar weich und feminin.« Frau Redeker wirkt, als würde sie einen Gedichtklassiker rezitieren. »Den weiblichen Rundungen folgend schmiegt sich das Oberteil sanft an den Körper.«
Bevor sie anzüglich werden kann, nehme ich das Kleid entgegen und ziehe mich um. Ich verfange mich erst in den Stoffbahnen des weiten Rockes, doch dann erinnere ich mich an einen Zelturlaub und gehe systematisch vor. So geht es, das Kleid passt sogar.
Ich setze mich den prüfenden Blicken meiner Modeberaterinnen aus und frage: »Was bedeutet: Das Kleid ist authentisch?«
»In Ibiza laufen alle so rum«, antwortet Frau Redeker trocken.
»Und hier?«
Frau Redeker merkt, dass sie einen Fehler gemacht hat. Frauen wollen Individualität kaufen und keine Uniform. Rasch steuert sie gegen: »Das ist das einzige Modell im ganzen Landkreis. Ich habe es bei einer internationalen Modemesse entdeckt, man versicherte mir, dass nur ein geringer Teil der Kollektion nach Deutschland geht. Das meiste wird in Paris verkauft. Dort ist das Kleid der Hit der Saison!« Sie sagt Pariiih statt Paris. »Der Busen wird leicht gestützt.« Die beiden Verkäuferinnen zupfen bereits das Dekolletee zurecht. Ich fühle mich sehr feminin, doch mir wäre es lieber, sie würden endlich die Hände von meiner nicht gerade üppigen Oberweite lassen.
»Man sieht deine VPL«, sagt Mutti kritisch.
»Was soll das denn sein? Habe ich so etwas?«
»Schau doch mal richtig in den Spiegel! Das heißt Visible Panty Line. Habe ich neulich im Fernsehen gehört.«
Ich schaue noch etwas genauer hin und sehe, wie sich meine Unterhose leicht abzeichnet. Sieht ein bisschen blöd aus. »Hmmm.«
Weitere Teile der Sommerkollektion werden
Weitere Kostenlose Bücher